Autor: Jonas Prien
Die fünf postsowjetischen Republiken Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan rücken zunehmend ins globale Rampenlicht. Jahrzehntelang von Russland dominiert und wirtschaftlich stark mit China verflochten, wird die Region nun verstärkt zum Schauplatz geopolitischer Rivalitäten und wirtschaftlicher Chancen. Doch nicht alle Großmächte buhlen gleichermaßen um diese Region: ein strategischer Nachteil?
Russland: Der einstige Hegemon im Rückzugsmodus?
Russlands historischer Einfluss auf Zentralasien ist unbestreitbar: kulturell, sprachlich, wirtschaftlich und sicherheitspolitisch. Doch der Ukraine-Krieg hat das Kräfteverhältnis verschoben. Während Moskau jahrzehntelang als Schutzmacht galt, nehmen viele Regierungen der Region Russlands Rolle zunehmend als belastet oder stagnierend wahr. Die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU), einst als Gegengewicht zur EU konzipiert, verliert an Attraktivität, ebenso wie das kollektive Sicherheitssystem (OVKS), dem einige Staaten inzwischen distanziert begegnen. Zwar bleibt Russland vor allem in Kasachstan wirtschaftlich stark präsent, etwa im Energiesektor oder in militärischer Zusammenarbeit. Doch die Sanktionen des Westens und die wachsende wirtschaftliche Abhängigkeit von China schwächen Moskaus Position als regionaler Taktgeber.
China und Indien: Aktive Dauerpräsenz
Chinas Engagement ist in Zentralasien allgegenwärtig. Milliardeninvestitionen in Pipelines, Eisenbahnen, Telekommunikation und Energie dominieren die wirtschaftliche Landschaft. Politisch agiert Peking hingegen zurückhaltend. Das Land setzt vor allem auf gezielte Soft Power und wirtschaftliche Durchdringung.
Indien wiederum verstärkt seine Aktivitäten über Bildungskooperationen, Digitalisierung und erneuerbare Energien, besonders in Usbekistan und Tadschikistan. Das Interesse an kritischen Rohstoffen und strategischen Korridoren (z. B. Nord-Süd-Transportkorridor) wird offensiver artikuliert. Neu-Delhi sucht damit Anschluss an die chinesische Präsenz, jedoch mit anderen Mitteln und einer wachsenden regionalen Beliebtheit.
US-Präsidenten: Diplomatie aus der Distanz
Obwohl die USA bereits in den frühen 1990er-Jahren diplomatische Beziehungen zu allen zentralasiatischen Staaten aufnahmen, ist festzuhalten: Kein amtierender US-Präsident hat bis heute eines dieser Länder besucht. Kontakte blieben oft symbolisch, etwa bei UN- Versammlungen oder Gipfeltreffen in Washington. Zwar traf Präsidenten Biden seine zentralasiatischen Amtskollegen zuletzt im C5+1-Format 2023 in New York, doch eine Reise in die Region blieb stets aus. Die einzige Ausnahme stellt der spätere Präsident Richard Nixon dar, der zwei Jahre vor seiner Wahl zum US-Präsidenten, eine inoffizielle Reise durch die Sowjetunion im Jahr 1967 unternahm. Bei seiner „Fact-Finding Mission“ besuchte er auch die Städte Almaty, Taschkent und Samarkand und sammelte Eindrücke über die Region.

Warum tat kein Präsident bisher Nixon gleich? Die amerikanische Zurückhaltung ist nicht nur symbolisch. Während China Infrastrukturprojekte im Milliardenbereich vorantreibt und Indien gezielt in Bildung, Digitalisierung und Energie investiert, wirkt die US-Politik sprunghaft, punktuell und wenig strategisch. Auch Sicherheitskooperationen verloren nach dem 2021 vollzogenen Abzug aus Afghanistan rasch an Priorität. Es scheint, dass die USA sich eher auf den Nahen Osten und den Indo-Pazifik konzentrieren wollen.
Europa: Vom Beobachter zum Akteur
Ganz anders zeigt sich Europa. Die Europäische Union intensiviert seit 2020 stark ihre diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen in Zentralasien. Ein zentrales Motiv ist dabei die Diversifizierung von Energie- und Rohstoffquellen, besonders nach Beginn des Ukraine-Kriegs. Im September 2024 reiste Bundeskanzler Olaf Scholz nach Usbekistan und Kasachstan, begleitet von Vertretern der deutschen Industrie. Acht strategische Abkommen wurden mit Usbekistan unterzeichnet: u.a. zur Migration qualifizierter Arbeitskräfte, Rohstoffsicherheit, nachhaltigem Wassermanagement und Digitalisierung.
Die EU wiederum verfolgt seit 2022 mit dem Global-Gateway-Paket eine eigene Initiative. 2025 stellte sie in Samarkand ein Investitionsprogramm von 12 Milliarden Euro mit Fokus auf den transkaspischen Transportkorridor, Wasser- und Energieprojekten, digitaler Infrastruktur und Bildungskooperationen vor. Bereits in Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan wurden Projekte angeschoben, die der chinesischen Belt-and-Road-Initiative qualitativ Konkurrenz machen sollen.
Regionale Resonanz: Zentralasien tastet sich vorsichtig heran
Und wie wird das internationale Engagement aufgenommen? In den Hauptstädten Zentralasiens zeigen sich die Regierungen offen für internationale Angebote, insbesondere da diese im Gegensatz zu chinesischen Krediten oft mit weniger politischer Abhängigkeit verbunden sind.
Usbekistans Präsident Shavkat Mirziyoyev äußerte während Scholz’ Besuch, man sehe „in Deutschland einen Partner auf Augenhöhe, der zuhört statt diktiert“. Auch die Bereitschaft, Migrationspartnerschaften nicht nur repressiv, sondern entwicklungspolitisch zu gestalten, stieß auf Zustimmung. Kasachstan wiederum begrüßte die europäische Unterstützung beim Aufbau alternativer Transportrouten nach Europa jenseits russischer Territorien.
Gleichzeitig bleiben die Staaten vorsichtig. Sie wollen weder in einen neuen Blockkonflikt geraten noch bestehende Beziehungen etwa zu China riskieren. Vielmehr nutzen sie geschickt das Interesse aller Seiten, um ihre eigene Position zu stärken.

