Zentralasien-Kolumne „Steppe Ahead“
Autor: Thorsten Gutmann

Usbekistan hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der dynamischsten Wirtschaftsräume Zentralasiens entwickelt. Wo lange Zeit Strukturträgheit und außenpolitische Abschottung dominierten, ist heute ein investorenfreundliches Umfeld entstanden, das zunehmend auch strategische Aufmerksamkeit aus Europa auf sich zieht.
Im ersten Halbjahr 2025 wurden landesweit 1.829 Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung neu registriert – ein historischer Höchststand. Die Gesamtzahl internationaler Gesellschaften in Usbekistan stieg damit auf über 16.600. Besonders auffällig ist das Wachstum im Technologiesektor: Inzwischen sind über 9.700 IT-Firmen im Land tätig, mit einem geschätzten Jahresumsatz von rund 4,1 Milliarden Euro. Gleichzeitig schreitet der Ausbau erneuerbarer Energien rasch voran. Elf neue Solarkraftwerke befinden sich im Bau oder sind bereits ans Netz gegangen, getragen von Investitionen in Höhe von mehr als 22 Milliarden Euro.
Politisch wurde dieser wirtschaftliche Aufbruch durch eine Reihe von Reformen flankiert, die unter Präsident Shavkat Mirziyoyev seit 2017 schrittweise umgesetzt wurden. Dazu zählen steuerliche Erleichterungen, die Öffnung zuvor staatlich dominierter Branchen sowie eine selektive Privatisierung im Bankensektor. Auch der internationale Kapitalfluss spiegelt das veränderte Investitionsklima wider: Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) hat in den letzten fünf Jahren über drei Milliarden Euro in usbekische Projekte investiert – so viel wie in keinem anderen Land der Region.
Geopolitisch profitiert Usbekistan von einer Lage, die zunehmend als strategisch relevant wahrgenommen wird. Das Land grenzt an alle zentralasiatischen Republiken, verfügt über funktionierende Verbindungen nach China und bemüht sich um eine stärkere wirtschaftliche Verflechtung mit Südasien. Mit Russland bestehen enge wirtschaftliche, aber politisch bewusst distanziertere Beziehungen. Die wachsende Aufmerksamkeit europäischer Akteure – insbesondere im Rahmen der Global-Gateway-Initiative – ist vor diesem Hintergrund ebenso nachvollziehbar wie kalkuliert.
Beim ersten EU-Zentralasien-Gipfel in Samarkand im April 2025 kündigte die Europäische Union ein Investitionspaket in Höhe von zwölf Milliarden Euro an. Schwerpunkte sind Energie, Infrastruktur und digitale Konnektivität. Die Vereinbarung ist Ausdruck einer zunehmenden Interessenkonvergenz: Europa sucht alternative Bezugs- und Transitrouten, während Usbekistan den Anschluss an globale Lieferketten systematisch vorantreibt.
Für europäische Unternehmen eröffnen sich konkrete Anknüpfungspunkte. In der Solarbranche, in der Digitalisierung, im Maschinenbau sowie in der textilen Weiterverarbeitung entstehen zunehmend clusterfähige Strukturen. Der staatlich geförderte „IT Park“ in Taschkent zählt inzwischen rund 200.000 Arbeitskräfte und dient als Plattform für Technologieimporte, Know-how-Transfer und Exportvorbereitung.
Usbekistan bietet Investoren gegenwärtig ein relativ stabiles makroökonomisches Umfeld, planbare Regulierungsbedingungen und politisches Interesse an langfristiger Zusammenarbeit. Das Land ist dabei, sich als logistischer und industrieller Mittelkorridor zu etablieren – in einem Raum, der sich zwischen den globalen Zentren neu definiert.
Ob es gelingt, diesen Kurs langfristig zu halten, hängt nicht nur von außenpolitischer Einbindung und Kapitalzufluss ab, sondern auch von infrastrukturellem Ausbau und institutioneller Professionalisierung. Vorerst aber gilt: Usbekistan ist nicht länger nur Objekt internationaler Interessen – sondern zunehmend selbst Akteur.