Autor: Klaus Dormann


So optimistisch überschreibt das „Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche“ (wiiw) das „Russland-Kapitel“ in der Pressemitteilung zu seiner Frühjahrsprognose für die Konjunkturentwicklung in den Ländern in Mittel-, Ost- und Südosteuropa (MOSOEL). Überraschend positiv im Vergleich mit den Russland-Prognosen des IWF, der Weltbank und führender Konjunkturforschungsinstitute ist vor allem die wiiw-Einschätzung der Konjunkturperspektiven Russlands im nächsten Jahr. 2026 wird sich Russlands Wirtschaftswachstum laut dem Wiener Institut nicht weiter abschwächen, sondern bereits wieder auf 2,5 Prozent beschleunigen. Zur Begründung für seinen Wachstumsoptimismus ab 2026 verweist das wiiw vor allem auf „die Aussicht auf eine teilweise oder vollständige Aufhebung der US-Sanktionen“ gegen Russland im Zuge der „Annäherung an die USA“.

2025 erwartet auch das wiiw nur noch 2 Prozent Wachstum in Russland

Die Prognose des Wiener Instituts für das diesjährige Wachstum der russischen Wirtschaft fällt im Vergleich mit anderen Prognosen nicht ungewöhnlich positiv aus. Wie fast alle Beobachter erwartet auch das wiiw, dass sich das „überhitzte“ Wachstum der russischen Wirtschaft 2025 stark abkühlt. Nachdem sich der Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion im letzten Jahr noch auf 4,3 Prozent beschleunigte, rechnet das wiiw in diesem Jahr mit einer Halbierung des Wachstums auf nur noch 2,0 Prozent.

2026 soll Russlands BIP-Wachstum bereits wieder anziehen

Ungewöhnlich positiv sieht das wiiw aber die Perspektiven der russischen Wirtschaft ab dem nächsten Jahr. Während das Forschungsinstitut BOFIT der finnischen Zentralbank und die „Gemeinschaftsdiagnose“ der führenden deutschen Konjunkturforschungsinstitute 2026 eine weitere Halbierung des Wachstums der russischen Wirtschaft auf nur noch +1,0 Prozent erwarten, geht das wiiw jetzt davon aus, dass Russlands Wirtschaftswachstum schon im nächsten Jahr auf 2,5 Prozent anzieht.

Damit hebt das wiiw seine Anfang Februar veröffentlichte Prognose für 2026 um 0,9 Prozentpunkte an. Seine neue Wachstumsprognose von 2,5 Prozent für 2026 ist jetzt sogar etwas höher als die Prognose des russischen Wirtschaftsministeriums (+2,4 Prozent im „Basisszenario“).

Einen völlig anderen Konjunkturverlauf als das Wiener Institut erwartet das Münchner ifo Institut in Russland im nächsten Jahr. Es rechnet in seiner Mitte März im ifo Schnelldienst veröffentlichten „Frühjahrsprognose“ zwar damit, dass Russlands Wirtschaft 2025 noch ähnlich stark wächst (+ 1,9 Prozent) wie das wiiw erwartet (+ 2,0 Prozent). 2026 werde Russlands gesamtwirtschaftliche Produktion aber deutlich sinken (- 0,8 Prozent). Das zeigt, wie unterschiedlich auch renommierte Forschungsinstitute die Konjunktur in Russland einschätzen. Hintergrund dafür dürfte vor allem die hohe Unsicherheit über die Entwicklung des Krieges in der Ukraine und die Politik von US-Präsident Trump sein.

Die „wirtschaftliche Isolierung Russlands durch die USA“ könnte enden

Das wiiw geht in seiner Prognose offenbar von einer deutlichen Besserung der geopolitischen Rahmenbedingungen für die russische Wirtschaft aus. Der Russland-Experte des wiiw, Vasily Astrov, weist jedenfalls laut der Pressemitteilung darauf hin, dass die bestehenden US-Sanktionen gegen Russland bereits heute „nur mehr halbherzig“ umgesetzt würden. „Sollte es tatsächlich zu einem Waffenstillstand oder Friedensabkommen in der Ukraine kommen, wäre die wirtschaftliche Isolierung Russlands durch die USA wohl zu Ende. Möglicherweise auch ohne ein Abkommen. Damit würde wieder US-Kapital und amerikanische Technologie ins Land fließen. Diesem Beispiel könnten auch die US-Verbündeten Japan, Südkorea und Taiwan folgen“, meint Vasily Astrov.

Die Pressemitteilung merkt außerdem an, „im Windschatten von Trumps Kurswechsel in der Ukraine“ habe man von Beginn an „auch eine zukünftige wirtschaftliche Kooperation zwischen den USA und Russland erörtert, etwa bei Ölförderprojekten in der Arktis.“ Ausländische Firmen wie Renault, Hyundai oder Samsung erwögen mittlerweile eine Rückkehr nach Russland. Der südkoreanische Elektronikkonzern LG habe kürzlich sogar die Produktion in seinem Moskauer Werk wieder hochgefahren.

Im Hinblick auf die Argumentation, Russlands Konjunktur könne bei einem Kriegsende durch den Wegfall von wachstumsfördernden Staatsausgaben Schaden leiden, meint Astrov laut der wiiw-Pressemitteilung: „Die teilweise Wiederaufnahme der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen würde bei einem Kriegsende den Wegfall der hohen Gehälter für Soldaten und Entschädigungen für deren Familien, die bisher das russische Wachstum mitgetragen haben, wohl wettmachen“.

„Country Overview Russia“ des wiiw

Das wiiw stellt auch in seinem aktualisierten „Country Overview: Russia“ auf seiner Internetseite heraus, dass sich seine Prognosen für das Wachstum der russischen Wirtschaft in den Jahren 2025 und 2026 im Vergleich zu seiner Winterprognose verbessert haben. Dies sei „auf die bisher solide Entwicklung und die erwartete Lockerung der US-Sanktionen zurückzuführen.“

Nach zwei Jahren der Überhitzung dürfte sich die Konjunktur 2025, so das wiiw, deutlich abkühlen. Dies sei vor allem auf die „sehr restriktive Geldpolitik“ zurückzuführen.

Das Inflationstempo dürfte in Russland nach Einschätzung des wiiw im Jahresvergleich 2025/2024 mit 9,9 Prozent aber seinen Höhepunkt erreichen. Ab Mitte 2025 sollte „eine schrittweise Lockerung der Geldpolitik“ möglich sein.

Länderüberblick Russland: Wichtige Wirtschaftsindikatoren

WIIW:  Country Overview Russia, April 2025

Im Interview mit der Deutschen Welle setzt Vasily Astrov viele Fragezeichen

Wenige Tage vor der Veröffentlichung der „Frühjahrsprognose“ des wiiiw nahm Vasily Astrov auch in einem gut halbstündigen Podcast-Interview mit der Deutschen Welle ausführlich zur Konjunkturentwicklung in Russland Stellung. Im Gespräch mit Redakteur Thomas Kohlmann verriet er zwar, das wiiw rechne 2025 mit einer Abschwächung des Wachstum auf vielleicht etwa 2 Prozent in Russland, nannte aber keine Prognoseziffer für 2026. Mehrfach betonte er, dass wir nicht wissen, ob es wirklich zu einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen Russland und den USA kommen wird. Während im „Country Overview“ des wiiw zur Begründung der Aufwärtsrevision der Wachstumsprognosen für Russland auf „die erwartete Lockerung der US-Sanktionen“ verwiesen wird, betonte Astrov im Deutsche Welle-Interview, ob die US-Sanktionen wirklich aufgehoben werden, sei nicht sicher.

Unter anderem nahm er im Rahmen des Interviews zu folgenden Fragestellungen zusammengefasst wie folgt Stellung.

Warum hat Russland seine Rüstungsproduktion so stark steigern können?

Die hohe Rüstungsproduktion ist zum einen möglich, weil der russische Staat nach wie vor relativ hohe Einnahmen hat. Russland hat im internationalen Vergleich einen sehr niedrigen Stand der Staatsverschuldung von rund 15 Prozent des BIP. Russland ist zum anderen auch in der Lage, alle „kritischen Inputs“ zu importieren, die für die Rüstungsproduktion erforderlich sind, zum Beispiel Halbleiter-Chips. 

Wie hat sich die Politik der USA gegenüber Russland verändert?

Unter Präsident Trump gab es eine „massive Abkehr“ von der Politik der US-Regierungen der vergangenen Jahrzehnte gegenüber Russland, und zwar nicht nur rhetorisch. Die Regierung Trump hat auch „konkrete Schritte“ zur Änderung der Russland-Politik unternommen, zum Beispiel wurde die Überwachung der Einhaltung von sogenannten „Sekundärsanktionen“ gegenüber Russland durch Drittstaaten massiv gelockert.

Wie wird sich Russlands wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den USA und Europa entwickeln?

Die künftige wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den USA und Europa hängt natürlich in erster Linie davon ab, wie sich der geopolitische Konflikt entwickelt. Ob es wirklich zu einer verstärkten Kooperation mit den USA oder auch Europa kommt, kann man momentan nicht sagen. Da gibt es sehr viele Unsicherheiten. Erstens wissen wir nicht, ob die US-Sanktionen wirklich aufgehoben werden. Wir wissen nicht, ob es wirklich zu einer verstärkten Kooperation zwischen Russland und den USA kommen wird. Das wissen wir bisher nicht so genau.

Und zweitens: Selbst wenn die US-Sanktionen aufgehoben werden, wissen wir nicht, ob zum Beispiel die europäischen Länder dem neuen Kurs der US-Politik gegenüber Russland folgen werden. Ich habe zum Beispiel relativ starke Bedenken, dass die Europäische Union dem Beispiel der USA folgen wird. Auf jeden Fall nicht sofort. Das heißt, es wird wahrscheinlich einige Zeit dauern bis die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Russland und Europa wieder intensiviert werden. Langfristig glaube ich schon, dass es dazu kommen wird. Es kann 10 Jahre dauern, es kann auch länger dauern. Ich weiß es nicht.

Wie ist die starke Aufwertung des Rubels zu erklären?

Geopolitische Faktoren waren ausschlaggebend für die Aufwertung des Rubels. Es gab ein erneutes Vertrauen in die russische Wirtschaft durch die Aussichten auf eine verstärkte Zusammenarbeit Russlands mit den USA. Auch wenn dieser Optimismus wahrscheinlich etwas übertrieben war. Wir wissen nicht wirklich, ob es zu einer verstärkten Zusammenarbeit mit den USA kommen wird.

Welche Herausforderungen bringt eine Rückkehr von der „Kriegswirtschaft“ zu einer „Friedenswirtschaft“ für Russland?

Da gibt es zwei Faktoren, glaube ich: Auf der einen Seite: Ich glaube nicht, dass es einen massiven Schock geben wird, wenn der Krieg vorbei ist. Es wurden sehr viele Waffenvorräte im Laufe des Krieges aufgebraucht. Viele Militärexperten sagen: Es wird noch Jahre dauern, bis die Waffenvorräte, z.B. auch Panzer, wieder aufgefüllt sind. Die Waffenproduzenten werden wahrscheinlich für mehrere weitere Jahre mit stattlichen Aufträgen versorgt sein.

Zum anderen Seite: Wo es wahrscheinlich tatsächlich zu einem massiven Rückgang der staatlichen Ausgaben kommen wird, das sind die Zahlungen an die Söldner, weil dann wahrscheinlich nicht mehr so viele Söldner benötigt werden. Man wird zwar weiterhin eine gewisse Anzahl von Söldnern an den „Kontaktlinien“ in der Ukraine brauchen. Die Gehaltszahlungen an die Söldner sowie die Entschädigungen für im Krieg verletzte Soldaten und die Familien von Gefallenen, diese Zahlungen werden aber massiv sinken.

Ich glaube, anfänglich wird es schon einen deutlichen „negativen Schock“ für die Haushaltseinkommen und auch für den privaten Verbrauch der Haushalte geben. Ob dieser Schock die russische Wirtschaft in eine Rezession stürzen könnte, hängt vor allem davon ab, ob der Staat nicht andere Prioritäten für seine Ausgaben findet. Statt Geld für den Krieg auszugeben könnte er zum Beispiel mehr für die Verbesserung der Wirtschaftsstruktur ausgeben. Es gibt viele Bereiche, die in den letzten Jahrzehnten stark unterfinanziert waren.

Wird es schwierig für Russland, wenn der Ölpreis unter 60 Dollar/Barrel bleibt?

60 Dollar pro Fass ist noch nicht so tragisch. Wenn der Preis für russisches Öl in Richtung 40 Dollar geht wird es schon schwierig. Ein Drittel der Einnahmen im Föderralhaushalt stellen die Einnahmen aus dem Energiebereich. Da spielen nicht nur die Ölpreise, sondern auch der Wechselkurs eine große Rolle. Die Kombination aus niedrigen Ölpreisen und einem starken Rubel, das ist die schlechteste Kombination für das russische Budget. Und momentan ist der Rubel doch sehr stark. Das ist ein zusätzlicher Faktor, der die Staatseinnahmen aus dem Energiebereich drückt. Ein Ölpreis von 60 Dollar pro Fass ist für Russland aber noch akzeptabel, obwohl die Budgetdefizite im Vergleich zu den ursprünglichen Planungen etwas steigen könnten.

Zur jüngsten Revision der Haushaltsplanung berichtete Ostwirtschaft.de am 03. Mai:

„Das russische Finanzministerium rechnet im laufenden Jahr mit einem dreimal so hohen Defizit des Staatshaushalts als bisher angenommen. Statt 1,17 Bio. Rubel (12,6 Mrd. Euro) wird die Haushaltslücke 3,79 Bio. Rubel (41 Mrd. Euro) betragen, so die neue Prognose.

Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) steigt die Defizit-Prognose von 0,5% auf 1,7% des BIP. Der Grund dafür ist die gesunkene Erwartung für die Öl- und Gaseinnahmen infolge der gesunkenen Ölpreise.

Das Ministerium erwartet für das Gesamtjahr einen durchschnittlichen Preis von 56 US-Dollar pro Barrel der russischen Sorte Urals. Im ursprünglichen Entwurf waren es 69,7 Dollar.“


Quellen und Lesetipps:

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