Die Idee für das 1.800 Kilometer lange Erdgaspipeline-Projekt Turkmenistan–Afghanistan–Pakistan–Indien (TAPI) existiert seit der Unabhängigkeit Turkmenistans vor drei Jahrzehnten. Nun scheint das Vorhaben endlich Realität zu werden. Turkmenistan hat die ersten 14 Kilometer auf afghanischem Gebiet fertiggestellt und plant, die Stadt Herat bis Ende nächsten Jahres mit Gas zu beliefern.
Lange Zeit führten die einzigen Exportrouten aus Zentralasien über Pipelines aus Sowjetzeiten durch Russland. Die wachsenden Märkte Südasiens boten eine verlockende Alternative – und sind mit dem wirtschaftlichen Aufstieg des Globalen Südens noch attraktiver geworden. Doch die Instabilität im kriegszerrütteten Afghanistan blockierte den Zugang.
Ein alter Traum wird Realität
Die sogenannte „Phase Null“ des Projekts ist inzwischen in vollem Gange. Am 20. Oktober traf sich Turkmenistans Staatschef und Ex-Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow, heute Vorsitzender des Volksrats Halk Maslahaty, an der Grenze zu Afghanistan mit dem stellvertretenden afghanischen Ministerpräsidenten Mullah Abdul Ghani Baradar. Gemeinsam weihten sie den ersten Abschnitt der Pipeline auf afghanischem Boden ein.
Bereits zuvor hatte Turkmenistan eine 500 Kilometer lange Leitung von Serhetabat bis an die afghanische Grenze gebaut – ein Projekt, das 2018 von den Präsidenten aller vier beteiligten Staaten gestartet worden war.
In dieser Woche reiste Berdimuhamedow – im Land als „Arkadag“ („Beschützer“) bekannt – erneut nach Afghanistan, um den Abschnitt Serhetabat–Herat feierlich zu eröffnen. Die Trasse soll künftig den Namen „Arkadagyn Ak Yoly“, also „Arkadags Weiße Straße“, tragen.
Die Zeremonie fiel in dieselbe Woche, in der Aschgabat die 30. Öl- und Gaskonferenz (OGT2025) ausrichtete – ein Treffen, das internationale Energieexperten anzog, da das Interesse an Turkmenistans Energiepotenzial wächst.
Der Chef der TAPI Pipeline Company, Muhammetmyrat Amanov, erklärte gegenüber bne IntelliNews, die Rohre für den weiteren Bau seien bereits beschafft und würden derzeit zur Baustelle gebracht. „In den vergangenen zwölf Monaten haben wir erhebliche Fortschritte erzielt“, sagte Amanov. „Der rechtliche Rahmen auf afghanischer Seite steht, die Vermessungen und Wegerechte sind abgeschlossen, die Rohre bestellt und auf dem Weg.“
Noch ist vieles offen. Die Verhandlungen mit den Taliban über Gaslieferverträge für Herat dauern an, und über den Ausbau bis zur pakistanischen Grenze muss noch entschieden werden. Amanov rechnet jedoch damit, dass Turkmengaz die Pipeline Ende 2026 oder Anfang 2027 mit Gas füllen kann.
Bahnbrechender Wandel
Die TAPI-Pipeline könnte die Spielregeln verändern: Sie verbindet Turkmenistans riesige Gasfelder mit den Wachstumsmärkten Pakistans und Indiens. Das Gas stammt aus der neuen Großlagerstätte Galkynysh, die sich derzeit in der Erschließung befindet. Turkmenistan exportiert bereits jährlich rund 30 Milliarden Kubikmeter Gas über das zentralasiatisch-chinesische Pipelinesystem nach China. Mit Galkynysh soll sich die Produktion verdoppeln – und TAPI mit weiteren 30 Milliarden Kubikmetern beliefern.
Präsident Serdar Berdimuhamedow nahm im Oktober an einer Zeremonie teil, die den Beginn der Bohrarbeiten an drei neuen Produktionsstätten markierte. Das Galkynysh-Feld nahe der afghanischen Grenze in der Provinz Mary gilt mit geschätzten 27,4 Billionen Kubikmetern als eine der größten Gaslagerstätten der Welt. Die Produktion begann 2013 durch das Staatsunternehmen Türkmengaz, die Vollproduktion wird bis 2030 erwartet.
Turkmenistan verfügt über die viertgrößten Gasreserven der Welt – rund 17 Billionen Kubikmeter, ohne Galkynysh. Die TAPI-Leitung soll künftig jährlich 33 Milliarden Kubikmeter transportieren: 14 Milliarden für Indien, 14 für Pakistan und 5 für Afghanistan – eine Verdoppelung der bisherigen Exporte.
Amanov betonte, die Pipeline sei nicht nur eine Energieverbindung, sondern auch eine Plattform für weitergehende Infrastrukturprojekte – Stromleitungen, Eisenbahnstrecken und Glasfasernetze.
Günstige Sternenkonstellation
Das Projekt hat neuen Schwung bekommen. Die Region erlebt einen Boom bei Handel und Investitionen, und die Regierungen bemühen sich, die Energieversorgung für ihre wachsenden Volkswirtschaften zu sichern.
Seit dem Führungswechsel in Usbekistan 2016 gibt es eine engere Zusammenarbeit der fünf zentralasiatischen Staaten. Sie treten zunehmend geschlossen im sogenannten C5-Format auf. Der Globale Süden insgesamt arbeitet parallel an neuen Institutionen (GEMIs), um wirtschaftliche Kooperation jenseits westlicher Strukturen zu fördern – auch im Energiebereich.
Auch in Afghanistan zeichnet sich eine vorsichtige Normalisierung ab. Seit dem Abzug der US-Truppen 2020 bemühen sich die Nachbarn um pragmatische Beziehungen zur Taliban-Regierung. Stromleitungen aus Usbekistan und neue Handelsrouten mit Pakistan sind Beispiele dafür. Angesichts der wirtschaftlichen Not zeigt sich Kabul zunehmend kooperationsbereit. Russland führt die Taliban zwar noch als „Terroristen“, doch Kasachstan und Kirgisistan haben sie bereits 2023 von ihren Listen gestrichen.
Zwischen Herat und Neu-Delhi
Von Herat aus soll die Pipeline nach Kandahar und weiter Richtung Pakistan und Indien verlaufen – ob sie je über Herat hinauskommt, ist allerdings ungewiss. Der Abschnitt gilt als politisches Signal des guten Willens der vier beteiligten Länder. Viele Details zu den Gaslieferverträgen in Afghanistan und den Exportvereinbarungen mit Pakistan und Indien stehen noch aus.
Turkmenistan hofft, dass der Bau bis Herat als Katalysator wirkt – und die Taliban angesichts der greifbaren Energiegewinne einer Fortsetzung zustimmen. Schwieriger dürften die Abkommen mit Pakistan und Indien werden, deren Verhältnis zuletzt wieder angespannt war.
Pakistan pflegt traditionell enge Beziehungen zu den Taliban und ist stark an Energiesicherheit interessiert. Indien wiederum sucht vorsichtige Annäherung. Im Oktober empfing Neu-Delhi den Taliban-Außenminister Amir Khan Muttaqi – ein Schritt, der als pragmatische Neuausrichtung gilt, aber auch Spannungen mit Islamabad auslöste.
Indien kündigte während des Besuchs an, seine technische Mission in Kabul zu einer vollwertigen Botschaft auszubauen und mehrere neue Entwicklungsprojekte zu starten – ohne die Taliban-Regierung formell anzuerkennen. Im Gegenzug warb Muttaqi um indische Investitionen in Bergbau und Wiederaufbau.
US-Hürden und Mineraliendiplomatie
Turkmenistan sucht auch Unterstützung in Washington. Die Regierung finanziert die Anfangsphase derzeit selbst, mit Hilfe der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB). Für spätere Bauabschnitte wären jedoch westliche Mittel und Technologie nötig. Problematisch: Die USA erkennen die Taliban nicht an und unterliegen Sanktionsbestimmungen. Zwar sind die Arbeiten an der ersten Phase unter einer humanitären Ausnahmegenehmigung erlaubt, doch das Großprojekt gilt als kommerziell – und erfordert daher neue Lizenzen.
Samantha Carl-Yoder von der Kanzlei Brownstein Hyatt Farber Schreck, die Turkmenistan vertritt, sieht dennoch Chancen auf einen Deal: „Die US-Regierung wird versuchen, amerikanische Firmen zu beteiligen – wahrscheinlich im Gegenzug für den Zugang zu afghanischen Rohstoffen.“
Tatsächlich zeichnet sich unter Donald Trump eine Außenpolitik der sogenannten Mineraliendiplomatie ab: wirtschaftliche Abkommen im Austausch gegen Rohstoffrechte. Im November will Trump die Staats- und Regierungschefs der zentralasiatischen C5-Staaten in Washington empfangen – eine Gelegenheit für Präsident Serdar Berdimuhamedow, direkt für US-Unterstützung zu werben.
Konkurrenz um das Gasgeschäft
Das Projekt ist für Turkmenistan strategisch wichtig, denn der Wettbewerb auf dem Gasmarkt verschärft sich. Die USA wollen ihre LNG-Produktion massiv ausbauen, Katar ebenfalls. Russland plant mit China die „Power of Siberia 2“-Pipeline, die Turkmenistans Exportchancen nach Osten einschränken könnte.
Die geplante „Linie D“ von Turkmenistan nach China – mit 30 Milliarden Kubikmetern Kapazität – dürfte damit auf Eis liegen. Auch der weltweite LNG-Ausbau setzt die Preise unter Druck. Amanov sieht TAPI dennoch nicht in Konkurrenz, sondern als Ergänzung: Pipelinegas sei billiger und besser für preissensible Märkte wie Indien und Pakistan.
Andrea Stegher, Präsident der Internationalen Gasunion, warnte auf der OGT-Konferenz: „Der Energiebedarf steigt – nicht zuletzt durch die KI-Revolution. Gas bleibt die wichtigste emissionsarme Übergangslösung.“ Indien etwa verbrauchte 2024 rund 74 Milliarden Kubikmeter Gas; bis 2050 dürfte sich der Bedarf verdoppeln, während die Eigenproduktion stagniert.
Alternativen gibt es viele – doch keine ist so weit gediehen wie TAPI. Ein Gas-Tauschprojekt mit dem Iran scheiterte an Sanktionen, die Transkaspische Pipeline nach Europa ist seit Jahrzehnten im Gespräch, aber nie realisiert worden. Immerhin wurde innerhalb Turkmenistans eine 773 Kilometer lange Ost-West-Leitung fertiggestellt, die die Gasfelder im Landesinneren mit der kaspischen Küste verbindet. Der Rest bleibt Zukunftsmusik.
Dieser Artikel entstand in Kooperation mit unserem Partner bne intelliNews

