Autor: Thomas Baier

Drei Millionen Neuwagen und größter Markt Europas: Vor fünfzehn Jahren schwor Moskau, den deutschen Automarkt zu überholen. Heute ist der russische Markt nur halb so groß wie der Deutsche und liegt abgeschlagen auf dem 5. Platz in Europa. Nach einem Rekordnegativjahr 2022 erholte sich der Markt 2024 zwar wieder auf das Niveau von 2021, wird 2025 jedoch erneut deutlich zurückgehen. China hingegen ist auf der Überholspur gegenüber allen Europäern.
Russlands geplatzte Autoträume
2012 rückte das Ziel, der größte Automarkt in Europa zu werden in Reichweite: 2,9 Millionen verkaufte Autos, Platz zwei in Europa, Deutschland wackelte. Dann kamen Krimkrise, Rubel-Crash und Sanktionen. Seit dem Rubel-Schock 2015 dümpelte Russlands Pkw-Absatz jahrelang bei etwa 1,4 bis 1,8 Millionen Fahrzeugen, weit entfernt von den Boom-Hoffnungen der frühen 2010er. Im Krisenjahr 2022 brach der Markt infolge von Sanktionen und Teilemangel radikal ein und verkaufte nur rund 600 000 Autos – ein Negativrekord. 2023 erholte er sich auf etwa 1,2 Millionen Einheiten, 2024 kletterten die Verkäufe weiter auf knapp 1,6 Millionen. Das laufende Jahr bringt jedoch einen neuen Rückschlag: nur 346 000 Zulassungen von Januar bis April, ein Minus von 26%. Hauptschuldiger ist der Leitzins mit 21%; Autokredite verteuern sich rasant.
China auf der Überholspur
Chinesische Hersteller beherrschen inzwischen Russlands Neuwagenhandel: Für das Gesamtjahr 2024 wird ihr Anteil auf rund 62% geschätzt. Anfang 2025 kletterte der Wert weiter, sodass laut „Financial Times“ chinesische Marken wie Chery, Haval und Geely bereits etwa 63% des Marktes halten, während russische Anbieter, insbesondere die Marke Lada, unter 30% rutschten. Der chinesische Automarkt ist der mit Abstand größte der Welt. Die Automobilindustrie schaut nicht mehr auf die IAA in München, sondern nach Schanghai und Shenzen. 22 Millionen Pkw setzte China 2024 ab, damit kommt dort an einem Tag fast so viel Ware unters Volk, wie Russland in einem schlechten Monat verkauft. War der russische Automarkt 2008 noch halb so groß wie der chinesische – ist er inzwischen 20-mal kleiner. Pro Tag rollt in China fast dieselbe Stückzahl vom Band, die in der Ukraine in einem ganzen Jahr verkauft wird. In der Ukraine wurden 2024 knapp 70 000 Neuwagen verkauft, im Vorkrisenjahr 2021 waren es 100 000. Das Verhältnis China zu Ukraine liegt heute bei astronomischen 1:320 – vor der Finanzkrise 2008 lag es noch bei 1:10. Auch der deutsche Markt, der mit Abstand größte in Europa, ist mittlerweile fast 10-mal kleiner als der chinesische. Waren 2008 der deutsche und russische Automarkt zusammen so groß wie der chinesische, verkaufen sie 2025 nicht einmal ein Fünftel des chinesischen Volumens.
Das alles ist kein Zahlenspiel, sondern zeigt im Kleinen, was im Großen längst passiert. Während sich politische Debatten in Brüssel, Berlin oder Moskau an Tagesmeldungen abarbeiten, baut China über vernetzte Lieferketten und gewaltige Skaleneffekte einen strukturellen Vorsprung auf. Der Pkw-Absatz dient dabei lediglich als Brennglas – dieselbe Dynamik prägt Batterietechnologie, Halbleiter, Ladeinfrastruktur und letztlich die gesamte industrielle Wertschöpfungskette. Wer also weiter die globalen Trendlinien ignoriert und sich in innereuropäischen Konflikten aufreibt, riskiert in wenigen Jahren eine europäische Rolle des Statisten in einer von China definierten Welt.
Sie können diesen Beitrag auch in ausführlicher Form hören im Podcast der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer.

