Autor: Klaus Dormann


Am Freitag teilte das russische Statistikamt Rosstat in einer „vorläufigen Schätzung“ mit, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion im dritten Quartal 2025 nur noch 0,6 Prozent höher war als ein Jahr zuvor. Die Rosstat-Schätzung bestätigte damit Angaben des Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung. Russlands jährliche Wachstumsrate hat sich im dritten Quartal deutlich weiter abgeschwächt. Im ersten Quartal 2025 hatte sie noch +1,4 Prozent erreicht und im zweiten Quartal +1,1 Prozent.

Im laufenden vierten Quartal 2025 könnte die Produktion der russischen Wirtschaft nach Einschätzung vieler Analysten sogar niedriger als vor einem Jahr sein. Im vierten Quartal 2024 war das reale Bruttoinlandsprodukt nämlich ungewöhnlich kräftig gestiegen (+4,5 % gegenüber 4.Quartal 2023).

Dass Russlands BIP im Gesamtjahr 2025 niedriger sein wird als 2024, es also in diesem Jahr eine „Rezession“ gibt, wird jedoch nicht erwartet. Seit Anfang 2025 sind die Prognosen für das jährliche Wachstum der russischen Wirtschaft allerdings deutlich gesenkt worden.

Die EU-Kommission erwartet 2025 nur noch 0,8 Prozent Wachstum

Im Mai ist zum Beispiel die EU-Kommission in ihrer „Frühjahrsprognose“ noch davon ausgegangen, dass die Wachstumsrate der russischen Wirtschaft von +4,3 Prozent im Jahr 2024 auf +1,7 Prozent im Jahr 2025 sinkt. In ihrer am 17. November veröffentlichten „Herbstprognose“ nahm sie ihre Erwartung für Russlands diesjähriges Wirtschaftswachstum noch erheblich weiter auf nur noch +0,8 Prozent zurück.

Noch stärker revidierte der deutsche „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ seine Russlandprognose. Die „Wirtschaftsweisen“ hatten im Mai noch prognostiziert, die russische Wirtschaft werde 2025 um +2,7 Prozent wachsen. Jetzt erwartet der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten nur noch einen Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts von +1,0%. Diese Prognose deckt sich mit der Prognose der deutschen Konjunkturforschungsinstitute in iher „Gemeinschaftsdiagnose“ vom September für das Wachstum der russischen Wirtschaft.

Mit nur noch 1 Prozent Wirtschaftswachstum rechnet für 2025 seit Ende September auch die russische Regierung in ihrer Haushaltsplanung. Die von Interfax Anfang November befragten Analysen erwarten in diesem Jahr im Durchschnitt ein noch etwas schwächeres Wachstum von +0,9 Prozent.

BIP-Prognosen 2024 bis 2026
Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

Im Jahresvergleich 2025/2024 wird keine „Rezession“ erwartet

Im Jahresvergleich 2025/2024 wird derzeit laut den Prognosen in der obigen Tabelle also mindestens noch ein Wachstum der russischen Wirtschaft von +0,6 Prozent erwartet (IWF-Prognose von Mitte Oktober).

Auch eine sogenannte „technische Rezession“ hat es zumindest laut den Schätzungen des russischen Statistikamtes Rosstat im bisherigen Verlauf des Jahres 2025 nicht gegeben. Für eine „technische Rezession“ hätte das Bruttoinlandsprodukt in mindestens zwei aufeinander folgenden Quartalen preis- und saisonbereinigt gegenüber dem jeweiligen Vorquartal sinken müssen (Definition des deutschen Statistischen Bundesamtes Destatis). Im ersten Quartal 2025 war das reale Bruttoinlandsprodukt zwar laut Rosstat 0,6 Prozent niedriger als im vierten Quartal 2024. Im zweiten Quartal stieg es laut Rosstat gegenüber dem ersten Quartal aber wieder um 0,4 Prozent (siehe blaue Säulen in der folgenden Abbildung der Kyiv School of Economics).

Vierteljährliche Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts
blaue Säulen: Veränderungen gegenüber dem Vorquartal in %, saisonbereinigt
schwarze Linie: Veränderungen gegenüber dem Vorjahresquartal in %

Kyiv School of Economics: Russia Chartbook September 2025, 09.10.25

Wie die schwarze Linie in der Abbildung zeigt, sank die jährliche Wachstumsrate des BIP laut Rosstat von +1,4 % im ersten Quartal 2025 auf +1,1 % im zweiten Quartal. Im dritten Quartal 2025 erreichte der jährliche BIP-Anstieg laut Rosstat nur noch +0,6 %.

Im September 2025 war das BIP laut dem Wirtschaftsministerium 0,9 % höher als im September 2024. In den ersten neun Monaten des laufenden Jahres stieg es im Vorjahresvergleich um 1,0 % (Prime.ru).

EU: 2025 bis 2027 wächst Russlands BIP nur noch um rund 1 Prozent pro Jahr

Auch die EU-Kommission weist im Rahmen ihrer „Herbstprognose“ in einer Analyse der Konjunkturentwicklung in Russland darauf hin, dass in Russland mit dem Wachstum der Wirtschaft um 0,4 Prozent im zweiten Quartal 2025 gegenüber dem ersten Quartal eine „technische Rezession“ vermieden werden konnte.

Für die Entwicklung von Wachstum und Inflation im Zeitraum 2025 bis 2027 stellt die Kommission folgende Trends heraus:

Russlands Wirtschaftswachstum hat sich nach zwei Jahren überhitzter Konjunktur mit einem jährlichen Produktionsanstieg von über 4 % seit Anfang 2025 deutlich verlangsamt. Es dürfte im Jahr 2025 auf +0,8 % zurückgehen. Danach wird es voraussichtlich wieder leicht anziehen. 2026 dürfte der BIP-Anstieg +1,1 % und 2027 +1,2 % erreichen.


Die Inflationsrate, die im März 2025 mit 10,3 % ihren Höchststand erreichte, sinkt  aufgrund der hohen Zinsen allmählich. Im Jahresdurchschnitt 2025 dürfte der Anstieg der Verbraucherpreise 8,9 % betragen. 2026 dürfte er auf 5,4 % und 2027 auf  4,6 % sinken.

Als Ursachen für die „dramatische Verlangsamung“ des Wirtschaftswachstums von +4,3 % im Jahr 2024 auf voraussichtlich nur noch +0,8 Prozent im Jahr 2025 nennt die Kommission Kapazitätsengpässe und die „restriktive Geldpolitik“ der Zentralbank. Die Sanktionen der EU und ihrer Verbündeten hätten „makroökonomische Ungleichgewichte“ wie die hohe Inflation, die Zunahme der privaten Verschuldung und die Verschlechterung der Haushaltslage verschärft. Der wirtschaftliche Abschwung sei primär auf negative Auswirkungen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zurückzuführen betont die Kommission.

2025 bleibt der private Konsum ein wichtiger Wachstumsmotor

Zur bisherigen Entwicklung von Konsum und Investitionen im Jahr 2025 merkt die Kommission an:

Trotz rekordhoher Zinsen blieb der private Konsum ein wichtiger Wachstumstreiber, vor allem dank des robusten Wachstums der Reallöhne, das durch einen anhaltend angespannten Arbeitsmarkt gestützt wurde.


Der Staatskonsumsetzte sein vergleichsweise geringes Wachstumstempo
aus dem zweiten Halbjahr 2024 fort, da sich die Ausgaben für das Militär stabilisierten.

Die Investitionen begannen im zweiten Quartal 2025 zu sinken. Die Bremswirkung der hohen Zinsen auf die Entwicklung „ziviler“ Branchen ohne Nachfrage aus dem militärischen Bereich konnte nicht mehr durch staatliche Investitionen und Unterstützungsmaßnahmen ausgeglichen werden.

Wie der Ausschnitt aus den Prognosen der Kommission in der folgenden Tabelle zeigt, rechnet die Kommission für das Gesamtjahr 2025 damit, dass der private Verbrauch noch um 2,3 Prozent wächst (2024: +5,4%). Der Staatsverbrauch dürfte nur noch um +1,0% steigen (2024: +4,8%). Das Wachstum der Bruttoanlageinvestitionen wird sich voraussichtlich von +6,0% auf lediglich noch +0,2% abschwächen.

Prognosen der EU-Kommission zu Wachstum und Beschäftigung in Russland

European Commission: Autumn 2025 Economic Forecast, Russian Federation 17.11.25

Die Entwicklung der Nettoexporte bremst Russlands Wachstum etwas

Russlands Außenhandelsentwicklung wird nach Einschätzung der EU-Kommission das gesamtwirtschaftliche Wachstum im Prognosezeitraum 2025 bis 2027 etwas bremsen. Sie geht davon aus, dass sich das „globale Umfeld“ für die russische Wirtschaft verschlechtert. In Verbindung mit den Sanktionen werde sich das auf die Entwicklung der russischen Ausfuhren voraussichtlich negativ auswirken. Gleichzeitig dürfte die Entwicklung der russischen Einfuhren von Handelsumlenkungen und günstigen „Terms of trade“ Wachstumsimpulse erhalten. Von der Entwicklung der Netto-Exporte Russlands erwartet die EU-Kommissin in den Jahren 2025 bis 2027 deswegen leicht negative Wachstumsbeiträge.

So schätzt die Kommission die Aussichten für Konsum und Investitionen ein

Der private Konsum wird nach Einschätzung der Kommission weiterhin zentraler Wachstumsmotor Russlands bleiben, obwohl sein Anstieg 2026 und 2027 noch etwas niedriger sein dürfte als 2025 (gelber Säulenteil in der folgenden Abbildung).

Der Staatskonsum (blauer Säulenteil) wird im Prognosezeitraum bis 2027 zwar weiterhin wachsen. Sein Wachstum wird sich aber verlangsamen, da die Rüstungsausgaben zwar hoch bleiben, aber ein Plateau erreichen.

Die Bruttoanlageinvestitionen (schwarzer Säulenteil) werden2025 voraussichtlich fast stagnieren. In den folgenden zwei Jahren werden sie jedoch etwas anziehen, weil die Inflation sinkt und die Zentralbank die Zinsen senkt. Kontinuierliche öffentliche Investitionen und subventionierte private Investitionen in kriegsrelevanten Sektoren werden im Jahr 2025 einen Rückgang der Gesamtinvestitionen voraussichtlich verhindern. Sie werden die Investitionen auch in den beiden nächsten Jahren stützen.

Reales Bruttoinlandsprodukt
Schwarze Linie: BIP-Veränderungen gegenüber Vorjahr in Prozent,
Säulenabschnitte: Beiträge der Verwendungsbereiche zur BIP-Veränderungsrate

European Commission: Autumn 2025 Economic Forecast, Russian Federation 17.11.25

Insgesamt prognostiziert die EU-Kommission für 2025 einen starken Rückgang des BIP-Wachstums auf +0,8 % im Jahr 2025 (schwarze Linie). 2026 dürfte das Wachstum der  gesamtwirtschaftlichen Produktion geringfügig auf +1,1 % und 2027 auf +1,2 % anziehen.

Russlands Defizit im Bundeshaushalt steigt 2025 auf 3,1 Prozent des BIP

Der russische Bundeshaushalt verzeichnete laut der EU-Kommission in den ersten drei Quartalen 2025 ein erhebliches Defizit von 3,8 Billionen Rubel (1,7 % des BIP). Schwache globale Ölpreise und westliche Sanktionen gegen den russischen Ölsektor sowie ein steigender Rubel reduzierten die Einnahmen aus Öl und Gas im russischen Bundeshaushalt in den ersten drei Quartalen im Vergleich zum Vorjahr um 20,6 %.

Diese Entwicklungen werden das russische Haushaltsdefizit nach Einschätzung der EU-Kommission 2025 voraussichtlich auf 3,1 % des BIP ansteigen lassen. 2024 war das Defizit auf 1,6 % des BIP gesunken. 

Die russische Regierung reagierte auf die Verschlechterung der Haushaltsentwicklung mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um 2 Prozentpunkte auf 22 % ab 2026. Trotz der Bemühungen der Regierung, die Verteidigungsausgaben im Bundeshaushalt für 2026 und 2027 zu begrenzen, erwartet die EU-Kommission weiterhin Ausgabensteigerungen. Sie geht aber davon aus, dass das Defizit im Bundeshaushalt 2026 auf 2,7 % des BIP und 2027 auf 2,4 % des BIP sinkt.

Gleichzeitig erwartet sie, dass die öffentliche Schuldenquote von 22,1 % des BIP im Jahr 2025 auf 24,2 % im Jahr 2026 und 25,6 % im Jahr 2027 steigen wird.


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