Russlands Wirtschaft 2025

Autor: Klaus Dormann


Wächst Russlands Wirtschaft in diesem Jahr nur noch um 0,4 Prozent? Das erwartet jetzt das Münchner ifo Institut. Oder erreicht Russland 2025 noch ein Wirtschaftswachstum von 2,7 Prozent? Das prognostizierte am 21. Mai der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“. Die Unsicherheit über Russlands Konjunkturentwicklung ist offenbar sehr hoch.

Im Durchschnitt erwarten die deutschen Institute nur noch 1 Prozent Wachstum

Die fünf führenden deutschen Konjunkturforschungsinstitute veröffentlichten Mitte Juni ihre „Sommerprognosen“ für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft und der Weltwirtschaft. Russlands Wirtschaftswachstum ist 2024 laut dem Statistikamt Rosstat auf 4,3 Prozent gestiegen. Vor drei Monaten erwarteten die deutschen Institute in ihren „Frühjahrsprognosen“ im Durchschnitt, dass es sich 2025 auf 1,7 Prozent abschwächt.

In ihrer „Gemeinschaftsdiagnose“ prognostizierten sie im April, dass Russlands Wirtschaftswachstum 2025 noch 2,0 Prozent erreichen wird. Jetzt rechnen sie in ihren „Sommerprognosen“ im Durchschnitt damit, dass es in diesem Jahr auf nur noch 1 Prozent sinkt.

Zum Vergleich einige Prognosen aus Russland: Das Konjunkturforschungsinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften (IEF RAS) rechnet 2025 mit einer ganz ähnlichen Entwicklung wie die deutschen Institute. Es nahm in den letzten drei Monaten seine Prognose für Russlands BIP-Anstieg nahezu ebenso stark wie die deutschen Institute von +1,8 Prozent auf +1,2 Prozent zurück. Bei kürzlichen Analysten-Umfragen der russischen Zentralbank sowie der Nachrichtenagenturen Interfax und Reuters rechneten die Teilnehmer im Durchschnitt für das Jahr 2025 aber noch mit einem etwas stärkeren Wachstum von jeweils +1,5 Prozent.

2026 erwarten die deutschen Institute im Durchschnitt ein noch etwas schwächeres Wachstum in Russland (+0,9 Prozent) als 2025 (+1,0 Prozent). Das Institut der RAS geht hingegen davon aus, dass Russlands Wirtschaftswachstum schon im nächsten Jahr von +1,2 auf +1,9 Prozent anzieht.

Die Spannweite der Wachstumsprognosen für 2025 hat sich vergrößert

Von den fünf Instituten erwartet jetzt das Berliner „Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung“ im Jahr 2025 das stärkste Wirtschaftswachstum in Russland. Es senkte seine Prognose im Vergleich zum Frühjahr nur minimal von 1,6 auf 1,5 Prozent.

Das Essener „RWI Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung“ blieb als einziges der Institute bei seiner Wachstumsprognose vom Frühjahr (+1,3 Prozent).

Ihre Wachstumsprognosen deutlich gesenkt haben hingegen das „IWH Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung Halle“ (von +2,0 auf +1,0 Prozent) und das „Kiel Institut für Weltwirtschaft“ (von +1,5 Prozent auf +0,8 Prozent). Am stärksten senkte das Münchner „ifo Institut“ seine Prognose für Russlands Wirtschaftswachstum im Jahr 2025 (von +1,9 Prozent auf nur noch +0,4 Prozent).

Sechs Monate vor dem Ende des Jahres 2025 reicht die Spanne der Wachstumsprognosen der fünf deutschen Institute für das Jahr 2025 jetzt  also von +0,4 Prozent (ifo Institut) bis +1,5 Prozent (DIW Berlin). Sie hat sich damit seit dem Frühjahr nicht verringert, sondern von 0,7 Prozentpunkten auf 1,1 Prozentpunkte vergrößert.

Die Wachstumsprognosen für 2026 unterscheiden sich viel weniger

Über die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Produktion in Russland im nächsten Jahr sind sich die Institute aber weitgehend einig. Gleich vier Institute erwarten 2026 ein Wirtschaftswachstum von 1 Prozent (DIW, IWH, RWI) oder 0,9 Prozent (ifo). Das Kieler Institut für Weltwirtschaft rechnet hingegen damit, dass sich Russlands Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr von +0,8 Prozent auf +0,5 Prozent abschwächt.

Das ifo Institut hob seine Prognose für 2026 jetzt stark an. Vor drei Monaten hatte es für 2025 noch einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 1,9 Prozent erwartet, gleichzeitig aber im nächsten Jahr mit einer Rezession in Russland gerechnet (- 0,8 Prozent). Jetzt erwartet das ifo Institut, dass der Konjunkturabschwung in Russland früher wirksam wird. Schon 2025 werde das Wachstum auf nur noch +0,4 Prozent einbrechen. 2026 werde es sich dann auf +0,9 Prozent beschleunigen.

IfW Kiel: Russlands Wirtschaft operiert an der Kapazitatsgrenze

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft halbierte seine Prognose für das diesjährige Wachstum der russischen Wirtschaft jetzt fast auf nur 0,8 Prozent. Die aktuelle Konjunkturentwicklung in Russland umreißt das IfW im Konjunkturbericht „Weltwirtschaft im Sommer 2025“ so:

„Die Produktion in Russland lag im ersten Quartal 2025 nur noch um 1,4 Prozent höher als ein Jahr zuvor und könnte im Vorquartalsvergleich sogar geschrumpft sein – saisonbereinigte Werte liegen von amtlicher Seite nicht vor.

Offenbar operiert die Wirtschaft an der Kapazitätsgrenze; durch die Umstellung auf

Kriegsproduktion machen sich zunehmend Engpässe bemerkbar, und die hohen Zinsen – der Leitzins lag seit Oktober bei 21 Prozent und wurde erst Anfang Juni leicht auf 20 Prozent reduziert – bremsen sowohl Konsumausgaben als auch nicht kriegsrelevante Investitionen.“

Zur außenwirtschaftlichen Entwicklung verweist das IfW außerdem auf preisbedingt rückläufige Einkünfte Russlands aus Rohölverkäufen und auf die Aufwertung des Rubels gegenüber dem US-Dollar (Wechselkurs-Chart von TradingEconomics).

Ölpreisrückgang bei Rubel-Aufwertung: „Eine toxische Kombination“ für Russland

Ansgar Graw analysierte in „The European“ die Auswirkungen des Rückgangs der Ölpreise in US-Dollar bei einer gleichzeitigen Aufwertung des Rubels für Russlands Wirtschaft. Diese Kombination sei von Vasily Astrov, dem Russland-Experten des „Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche, wiiw“, gegenüber der Zeitung „Die Welt“ als eine „wirklich toxische Kombination“ für Russland bezeichnet worden.

Bekamen russische Dollar-Anbieter an den Devisenbörsen laut der folgenden Finam-Abbildung am 3. Januar noch 110,5 Rubel für einen US-Dollar, waren es Mitte Juni nur noch rund 80 Rubel.

Finam.ru: The ruble is the best performing currency in the world this year, 14.06.25

Graw stellt zur kräftigen Aufwertung des Rubels fest:

„Die Stärke des russischen Rubels schadet der russischen Wirtschaft, weil die Energieexporte – vor allem Öl und Gas – fast ausschließlich in Fremdwährungen abgerechnet werden, vor allem in US-Dollar und zunehmend in chinesischen Yuan. Ein starker Rubel bedeutet, dass bei gleichem Verkaufspreis in Dollar weniger Rubel in die russischen Kassen fließen.“

Die jetzige Situation mache es „wirklich besonders gefährlich für das russische Budget“, meinte Astrov in „Die Welt“: „Wenn sich an dieser Kombination nichts ändert, ist ein Budgetdefizit von drei bis vier Prozent der Wirtschaftsleistung durchaus möglich“ (siehe auch: Investment Week: Rubel-Schock: Wenn Stärke zur Schwäche wird, 20.04.25).

Vasily Astrov wies im Welt-Interview darauf hin, dass ein Ölpreisverfall üblicherweise nicht zu einer Aufwertung, sondern zu einer Abwertung des Rubels führe. Bei einer Abwertung des Rubels steigen die Rubel-Einnahmen je US-Dollar. Den geringeren Dollareinnahmen aus dem Ölexport Russlands stehen dann die höheren Rubel-Einnahmen je Dollar gegenüber.

RWI: Russlands Leistungsbilanzüberschuss blieb im ersten Quartal beträchtlich

Das Essener RWI geht in seinem „Konjunkturbericht Frühsommer 2025“ näher auf die außenwirtschaftliche Entwicklung Russlands im ersten Quartal 2025 ein. Sowohl die Ausfuhren als auch die Einfuhren seien wertmäßig etwas gesunken:

„Zwischen Januar und März schrumpfte der Wert russischer Waren- und Dienstleistungsexporte gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 4%. Ausschlaggebend war vor allem die schwächere Entwicklung der Ölexporte. Verschärfte Sanktionen der USA und der EU gegen russische Öllieferungen verteuerten die Transporte und zwangen Russland zu noch höheren Preisnachlässen. Zudem brachen die Erdgaslieferungen in die EU ein, nachdem der Pipeline-Transit durch die Ukraine eingestellt wurde.

Die Importe von Waren und Dienstleistungen sanken im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahresquartal um 3%. Ausschlaggebend war ein deutlicher Rückgang der Importe von Maschinen, Ausrüstung und Transportmitteln; letztere litten zusätzlich unter einer kräftigen Anhebung der Recyclinggebühren für Importfahrzeuge zu Jahresbeginn. Zuwächse verzeichneten dagegen die Importsegmente Lebensmittel sowie touristische Dienstleistungen.

Der Leistungsbilanzüberschuss lag im Zeitraum Januar bis März etwas unter dem Vorjahreswert, blieb aber beträchtlich.“

RWI: Die Rüstungsinvestititonen stärken das Wachstumspotenzial kaum

Zu seiner Prognose, dass das gesamtwirtschaftliche Wachstum Russlands in diesem Jahr um rund zwei Drittel auf nur noch 1,3 Prozent sinken dürfte, meint das RWI zusammengefasst:

„Nach dem kräftigen Wachstum im Vorquartal hat sich die konjunkturelle Dynamik in Russland in den ersten Monaten dieses Jahres spürbar abgeschwächt. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs im ersten Quartal um 1,4% im Vorjahresvergleich. Seit dem Wachstumshoch zum Jahresende haben Industrieproduktion und Bauwirtschaft spürbar an Schwung verloren.“ …

„Der kräftige Einbruch der Rohölpreise hat die Konjunkturperspektiven Russlands weiter eingetrübt. Das Wirtschaftswachstum dürfte sich in diesem Jahr spürbar abschwächen, während die Inflation wohl auf hohem Niveau verharren wird.“ …

„Im April lagen die Verbraucherpreise um 10,2% über dem Vorjahresniveau, wobei insbesondere Nahrungsmittel und Dienstleistungen die Inflation antrieben. Trotz einer leichten Entspannung bleiben die Inflationserwartungen weiterhin auf erhöhtem Niveau.

Die Zentralbank nahm auf ihrer Sitzung im Juni nur eine moderate Zinssenkung von 21% auf 20 % vor.“ …

„Der Arbeitskräftemangel und die niedrige Produktivität bremsen das Produktionswachstum. Zugleich bewegt sich die Kapazitätsauslastung auf einem historischen Rekordniveau, doch die Sanktionen erschweren die Einfuhr von Investitionsgütern. Die staatlichen Investitionen fließen überwiegend in militärische Ausrüstung, was das zukünftige Wachstumspotenzial der Gesamtwirtschaft kaum unterstützt.“ …

„Insgesamt dürfte das Bruttoinlandsprodukt in den Jahren 2025 und 2026 um 1,3% bzw. 1,0% zulegen.“

Wie sich Reallöhne und privater Verbrauch in Russland entwickelten

Zur Entwicklung des russischen Einzelhandels merkt das RWI an:

„Obwohl der reale Durchschnittslohn in vielen Branchen weiter stieg, haben sich die Umsätze im Einzelhandel in den letzten Monaten kaum verändert. Einer von der russischen Zentralbank durchgeführten Verbraucherumfrage zufolge berichteten 25% bis 30% der Befragten von einer Verschlechterung ihrer finanziellen Situation.

Das Forschungsinstitut der russischen staatlichen Bank für Außenwirtschaft (Wneschekonombank) veröffentlichte zur Entwicklung des privaten Verbrauchs in seinem Wochenbericht folgende Abbildung. Sie zeigt vor dem Hintergrund der Entwicklung der Reallöhne (graue Linie) die Entwicklung der realen Umsätze im Einzelhandel (schwarze Linie) und mit Dienstleistungen (grüne Linie).

Der reale Umsatz im Einzelhandel (schwarze Linie) ist im Vergleich zum Vormonat laut ersten Schätzungen des VEB-Instituts im März saison- und kalenderbereinigt um 0,4 Prozent gesunken und im April um 0,5 Prozent. Bei den Dienstleistungen (grüne Linie) wurde der Rückgang des realen Umsatzes im März (-0,5 Prozent) durch einen Anstieg im April (+0,7 Prozent) wettgemacht.

Entwicklung von Reallöhnen, Einzelhandel und Dienstleistungen
im Vergleich zum Vormonat und zum Vorjahresmonat

VEB Institute: World Economy and Market Review, 30.05.25

Beim Vorjahresvergleich zum April 2024 stieg der reale Umsatz im Einzelhandel im April 2025 um 1,9 Prozent und der reale Umsatz bei den Dienstleistungen um 2,4 Prozent. Der Anstieg des realen Umsatzes im Einzelhandel hat sich seit dem Frühjahr 2024 jedoch deulich abgeschwächt.

Marina Voitenco, „Wirtschaftsbeobachterin“ des russischen Internet-Magazins Politicom.ru, nennt zur Entwicklung von Löhnen und privatem Verbrauch in ihrem jüngsten Wochenbericht folgende Daten:

Die Reallöhne stiegen im März 2025 im Vorjahresvergleich nur noch um 0,1 Prozent (Februar: +3,2 %). Dieser schwache Anstieg ist darauf zurückzuführen, dass in diesem Jahr Bonuszahlungen für das erste Quartal auf Dezember 2024 vorgezogen wurden (vor allem im Öl- und Gassektor sowie im Finanzsektor). Im ersten Quartal 2025 waren die Reallöhne 3,4 % höher als im ersten Quartal 2024. Ihr Anstieg war deutlich höher als der Anstieg der Arbeitsproduktivität.

Der reale Gesamtumsatz in den Branchen „Einzelhandel“, „Gastronomie“ und „kostenpflichtige Dienstleistungen“ stieg im April um 2,3 % gegenüber dem Vorjahr, nach einem Anstieg um 2,0 % im März. In den ersten vier Monaten des Jahres 2025 wuchs der reale Umsatz in diesen drei Branchen im Vorjahresvergleich insgesamt um 2,7 Prozent.


Quellen und Lesetipps:

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