Autor: Klaus Dormann
„Insgesamt erwarten wir im laufenden Jahr ein Wirtschaftswachstum von rund 1,5 bis 2 Prozent.“ Das meinte laut RIA Novosti am 06. Juli der russische Finanzminister Anton Siluanov am Rande des BRICS-Gipfels in Rio de Janeiro. Bisher war die russische Regierung davon ausgegangen, dass 2025 noch ein Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent erreicht wird.
Zwei Prozent Wachstum traut auch das renommierte „Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw)“ der russischen Wirtschaft zu. Es veröffentlicht vier Mal jährlich Prognosen für die Konjunkturentwicklung in 23 Ländern in Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Das wiiw blieb in seiner „Sommerprognose“ vom 01. Juli bei seiner Prognose von Ende April, dass die russische Wirtschaft 2025 um 2 Prozent wächst. Zwei Prozent Wachstum hat kürzlich auch die in Almaty in Kasachstan ansässige „Eurasische Entwicklungsbank“ für Russland prognostiziert.
Umfragen bei russischen Unternehmen signalisierten zuletzt jedoch eine Abnahme der Wirtschaftsaktivitäten. Es gibt Hinweise, dass nach dem Finanzminister voraussichtlich auch die russische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds ihre Wachstumsprognosen für die russische Wirtschaft senken werden.
Auch Zentralbank und IWF prognostizieren bald wohl weniger Wachstum
Die russische Zentralbank erwartet für dieses Jahr derzeit noch einen Produktionsanstieg von 1 bis 2 Prozent. Laut Presseberichten will sie ihre bisherige Wachstumsprognose aber „anpassen“. Das Wachstum werde niedriger ausfallen als prognostiziert, kündigte der stellvertretende Notenbankpräsident Alexey Zabotkin an.
Voraussichtlich wird auch der IWF seine Wachstumsprognose für Russland senken.
„Moskovskij Komsomolets“ berichtet jedenfalls über Äußerungen der Direktorin der IWF-Kommunikationsabteilung, Julie Kozack, dass die Wachstumsrate der russischen Wirtschaft angesichts der aktuellen Lage zahlreicher Branchen höchstwahrscheinlich sinken werde. Kozack meinte bei einem Presse-Briefing am 03. Juli, derzeit sei in Russland nach der Überhitzung im letzten Jahr eine scharfe Abschwächung des Wachstums zu sehen. Im April habe der IWF prognostiziert, dass sich das Wachstum 2025 auf 1,5 Prozent verlangsamen werde. Die Entwicklungen seit April legten aber nahe, dass das Wachstum noch niedriger sein könnte. Kozack stellte aber klar, dass sie der Aktualisierung des „World Economic Outlook“ (voraussichtlich im Juli) nicht vorgreifen wolle.
Zur Entwicklung der russischen Wirtschaft meinte sie außerdem, der Abschwung der Produktion spiegele die „tight policies“ in Russland, womit sie wohl vor allem die straffe Geldpolitik meinte. Einerseits sei die Inflation in Russland noch hoch und die Arbeitslosigkeit sehr niedrig. Andererseits verlangsame sich die Produktion rasch und die Risiken stiegen. Die Politik der Zentralbank müsse das „ausbalancieren“.
Kozack verwies außerdem auf zyklische Ursachen für die Verlangsamung des Wachstums. Wenn eine Überhitzungsphase zu Ende gehe, sei oft ein Abschwung zu sehen. Das sei jetzt auch in Russland so. Außerdem wirke sich der Rückgang der Ölpreise in Russland aus. Die Verschärfung der Sanktionen habe auch einige Auswirkungen.
Reuters-Umfrage lässt noch 1,5 Prozent Wachstum erwarten
Bei der Ende Juni durchgeführten monatlichen Analysten-Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters erwarteten die Teilnehmer wie im Mai, dass die russische Wirtschaft in diesem Jahr im Durchschnitt nur noch um 1,5 Prozent wächst. Ein noch etwas schwächeres Wachstum der russischen Wirtschaft ist laut den von „Consensus Economics“ erfassten Prognosen vorwiegend westlicher Banken und Institute zu erwarten. Das Forschungsinstitut BOFIT der finnischen Zentralbank berichtet, dass laut der Consensus-Umfrage die gesamtwirtschaftliche Produktion Russlands 2025 um 1,4 Prozent und 2026 um 1,3 Prozent steigen dürfte. 2024 war Russlands Wirtschaft noch um 4,3 Prozent gewachsen, noch etwas stärker als 2023 (+4,1 Prozent).
Der Rubel notierte laut Reuters am 01. Juli bei 78,45 pro US-Dollar (Daten der LSEG auf Basis außerbörslicher Notierungen). Seit Jahresbeginn ist sein Kurs gegenüber dem Dollar laut Reuters um rund 45 Prozent gestiegen. Diese Aufwertung half, die Inflation in Russland durch die Verbilligung importierter Waren zu bekämpfen. Die Teilnehmer der Reuters-Umfrage erwarten im Durchschnitt aber weiterhin, dass der Rubel in den nächsten zwölf Monaten deutlich abwertet. In zwölf Monaten sei ein Kurs von 98,25 Rubel je US-Dollar zu erwarten. Kurzfristig werde der Rubel jedoch voraussichtlich stark bleiben.
Zur Geldpolitik erwarten die Umfrage-Teilnehmer im Durchschnitt, dass die russische Zentralbank ihren Leitzins auf ihrer Vorstandssitzung am 25. Juli voraussichtlich um einen weiteren Prozentpunkt auf 19 % senken wird. Sie gehen davon aus, dass der Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat von 9,9 Prozent im Mai auf 7 Prozent im Dezember 2025 sinkt.
Vasily Astrov: Sehr wahrscheinlich wird die Geldpolitik im Juli weiter gelockert
Auch der Russland-Experte des wiiw, Vasily Astrov, erwartet eine baldige Senkung der Leitzinsen. Gegenüber Newsweek meinte er, er sei sich „fast sicher“, dass Zentralbankpräsidentin Nabiullina bei der nächsten Sitzung Ende Juli mit Verweis auf die gesunkene Inflation die Geldpolitik weiter lockern werde statt eine Stagnation und Rezession der Wirtschaft zu riskieren.
Zu der kontroversen Diskussion von Wirtschaftsminister Reschetnikow, Finanzminister Siluanow und Zentralbankpräsidentin Nabiullina beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg meinte Vasily Astrov, dass in Russland noch immer „viel Freiheit in wirtschaftspolitischen Debatten“ bestehe. Da die hohen Zinssätze die Wirtschaftsaktivitäten dämpfen würden, plädiere Wirtschaftsminister Reschetnikow für eine Zinssenkung und stelle die Wirtschaftslage negativ dar (Reschetnikow meinte beim SPIEF, Russland stehe „am Rande einer Rezession“). Notenbankpräsidentin Nabiullina spiele hingegen die konjunkturellen Risiken herunter, da ein offenes Eingeständnis dieser Risiken für sie einer Selbstkritik gleichkäme. Ihre straffe Geldpolitik sei der wichtigste Faktor für die Abschwächung der Konjunktur. Deshalb spreche sie von einer „geplanten Abkühlung“ der überhitzten Wirtschaft, so Astrov.
Die Stimmung in den Unternehmen hat sich deutlich verschlechtert
Bei der Reuters-Umfrage wiesen einige Analysten auf eine deutliche Eintrübung der Stimmung der Unternehmen in weiten Teilen der russischen Wirtschaft hin.
Natalya Orlova, Chef-Volkswirtin der Alfa-Bank, machte auf eine gravierende Verschlechterung des Geschäftsklimas in den auf den Endverbrauch ausgerichteten Branchen aufmerksam. Verbunden mit der in den letzten Monaten bereits eingetretenen Verlangsamung des Anstieges der Verbraucherpreise spreche dies für eine weitere Zinssenkung im Juli (siehe auch: Natalya Orlova, alfabank.ru: Growth model exhausted: indicators point to economic slowdown, 26.06.25).
Einige Umfrage-Teilnehmer wiesen außerdem darauf hin, dass die Stimmung in den Unternehmen des „Verarbeitenden Gewerbes“ laut dem Einkaufsmanager-Index von S&P Global im Juni den stärksten Rückgang seit mehr als drei Jahren verzeichnete.
Einkaufsmanager-Index unter die „Wachstumsschwelle“ gesunken
Der „Russia Manufacturing Purchasing-Manager Index“ des weltweit tätigen Research-Unternehmens S&P Global sank saisonbereinigt aufgrund von Mitte Juni durchgeführten Befragungen russischer Unternehmen um 2,7 Prozentpunkte auf nur noch 47,5 Punkte. Das Unterschreiten der Marke von 50 Punkten signalisiert eine Abnahme der Geschäftsaktivitäten im Vergleich zum Vormonat Mai. Dies war der stärkste Rückgang seit März 2022 (Beginn des Ukraine-Krieges) und der dritte Rückgang in den letzten vier Monaten.
Der PMI-Index für das „Verarbeitende Gewerbe“ hat sich damit im Mai nur kurzfristig über die „Wachstumsschwelle“ von 50 Indexpunkten erholt. Vor einem Jahr im Juni 2024 notierte der Index mit 54,4 Punkten noch fast auf einem langjährigen Höchststand. Seitdem nahm er – mit starken Schwankungen – im Trend aber stetig ab.
Einkaufsmanager-Index für Russlands Verarbeitendes Gewerbe

S&P Global: Russia Manufacturing PMI: Contraction in Russian manufacturing output quickens amid renewed drop in new orders in June, 01.07.25
Der Index für den Dienstleistungsbereich („S&P Global Russia Services PMI Business Activity Index“) sank im Juni ebenfalls unter die Wachstumsschwelle. Er fiel von 52,2 Punken im Mai auf 49,2 Punkte im Juni.
Der gemeinsame Index für den Bereich des „Verarbeitenden Gewerbes“ und den Dienstleistungsbereich, der „S&P Global Russia Composite PMI Output Index*, sank von 51,4 Indexpunkten im Mai auf 48,5 Punkte im Juni. Er signalisiert, so S&P Global, einen Rückgang der Geschäftstätigkeit. Sowohl das „Verarbeitende Gewerbe“ als auch die Dienstleister meldeten Rückgänge der Produktion.
Die folgende Abbildung vergleicht die Entwicklung des „Composite Output Index“ mit der vierteljährlichen Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts. Erkennbar ist, dass der kombinierte PMI Output Index (blaue Linie) zum Jahresende 2024 gestiegen ist. Gleichzeitig beschleunigte sich im vierten Quartal 2024 auch das jährliche Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts (orange Linie).
Im Verlauf des ersten Quartals 2025 sank der „Composite Output Index“ hingegen kräftig. Gleichzeitig schwächte sich auch das jährliche Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts deutlich ab.
Kombinierter Einkaufsmanagerindex und vierteljährliche Veränderung des Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

S&P Global Russia Services PMI, Russia Composite PMI, 04.07.25
Weitere Symptome für den Konjunkturabschwung
S&P Global nennt als Ergebnis der Umfrage folgende weitere Symptome des Konjunkturabschwungs:
Die Beschäftigung schrumpfte weiter. Die Unternehmen verzeichneten den stärksten Personalrückgang seit Dezember 2022.
Die Auftragseingänge im privaten Sektor gingen zurück. Der Gesamtrückgang war zwar nur gering, aber der stärkste seit März. Der Auftragsbestand stieg in der privaten Wirtschaft jedoch insgesamt. Ein schnellerer Anstieg des Auftragsbestandes im Dienstleistungssektor überwog einen deutlichen Rückgang des Auftragsbestandes im „Verarbeitenden Gewerbe“.
Gleichzeitig ließ der Inflationsdruck im „Verarbeitenden Gewerbe“ und im Dienstleistungsbereich nach. Sowohl die Einkaufspreise als auch die Verkaufspreise stiegen so langsam wie seit November 2019 bzw. Juli 2020 nicht mehr.
BOFIT: Bedenkliche Abschwächung von Russlands Wachstum
Auch das Forschungsinstitut BOFIT der finnischen Zentralbank analysiert die aktuelle Konjunkturabschwächung in Russland in seinem jüngsten Wochenbericht (Titel: „Concerns emerge over Russia’s slowing growth“)
Das Institut verweist darauf, dass sich Russlands jährliches Wirtschaftswachstum im ersten Quartal 2025 auf 1,4 Prozent abgeschwächt hat. Das Wachstum sei weiterhin von kriegsrelevanten Industrien und Dienstleistungen getragen worden. Im Gegensatz dazu sei beispielsweise die Produktion im Bergbau und bei der sonstigen Förderung von Rohstoffen von Januar bis März im Vorjahresvergleich deutlich geschrumpft. Auch die Groß- und Einzelhandelsumsätze seien real leicht gesunken.
Im ersten Quartal sank das BIP saisonbereinigt insgesamt um 0,6 Prozent
Im Vergleich mit dem vierten Quartal 2024 ist Russlands BIP im ersten Quartal 2025 laut BOFIT saisonbereinigt um 0,6 % gesunken. Dies sei der erste Rückgang seit dem Frühjahr 2022 nach der Invasion der Ukraine gewesen, so BOFIT.
In der folgenden Abbildung zeigt BOFIT, dass nach seinen Berechnungen im ersten Quartal nur die Produktion der „Kriegsindustrien“ („war related industries“) saisonbereinigt weiter gestiegen ist (rote Linie). Die Produktion der übrigen Wirtschaftszweige sei beträchtlich gesunken (blaue Linie).
Indizes der Produktion der „Kriegsindustrien“
und der Produktion des übrigen Bruttoinlandsprodukts (erstes Quartal 2021=100)

Note. The development of war-related industries is an estimate that covers three manufacturing industries most closely related to the war industry, as well as services related to public administration and national defense. Sources: Rosstat, BOFIT.
BOFIT Weekly Review 27/2025: Concerns emerge over Russia’s slowing growth, 04.07.25
Auch das russische Statistikamt Rosstat gibt den Rückgang des saisonbereinigten realen Bruttoinlandsprodukts im ersten Quartal 2025 gegenüber dem Vorquartal mit 0,6 Prozent an (siehe ausführliche Analyse von Marina Voitenco für das Internet-Magazin Politcom.ru: Supply and demand – risks of balancing, 02.07.25)
Auch im 5-Monats-Vergleich sank das Wachstum deutlich
Zu den von Rosstat am Donnerstag veröffentlichten Konjunkturdaten für Mai stellt BOFIT fest:
Das Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktion hat sich auch im Vergleich der ersten fünf Monate der Jahre 2025 und 2024 deutlich abgeschwächt. Der Indikator, der die Produktion der fünf „Basis-Sektoren“ der Wirtschaft abbildet, und deswegen als Indikator für die gesamtwirtschaftliche Produktion verwendet wird, wuchs von Januar bis Mai im Jahresvergleich um 1,4 % (siehe auch: Finmarket.ru: Output growth in basic activities in Russia slowed to 0.7% in May – Rosstat, 02.07.25)
Die Produktion im Bergbau und bei der Förderung sonstiger Rohstoffe ging im Mai im Vergleich zum Vorjahreszeitraum erneut zurück, während die Produktion im „Verarbeitenden Gewerbe“ weiter wuchs. Die Bauwirtschaft stagnierte im Mai auf dem Niveau des Vorjahres.
Die Einzelhandelsumsätze wuchsen im Mai wie in den Vormonaten moderat.
Die Verbraucherpreise stiegen im Mai im Vergleich zum Vorjahr weiterhin um rund 10 %.
Das CMASF warnt vor einer „Schuldenrezession“
Das Moskauer „Zentrum für makroökonomische Analyse und kurzfristige Prognosen“ (CMASF) sieht aufgrund seines „Frühwarnsystems für makrofinanzielle Risiken“ zwar weiterhin nur eine geringe Wahrscheinlichkeit für eine Wirtschaftsrezession und eine langwierige Bankenkrise. Bemerkenswert erscheint dem Zentrum in einer am 04. Juli veröffentlichten Analyse jedoch, dass die Frühindikatoren für eine Rezession und eine Bankenkrise in den letzten Monaten stetig gestiegen seien. Extrapoliere man ihre weitere Entwicklung, würden sie in den kommenden Monaten höchstwahrscheinlich sowohl eine Wirtschaftsrezession als auch eine langwierige Bankenkrise signalisieren. Diese Verschlechterung der Perspektiven für die russische Wirtschaft ist nach Meinung des CMASF auf eine Verlängerung der Phase extrem hoher Zinsen bei niedrigen gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten zurückzuführen.
Das CMASF argumentiert so: Während des Kreditbooms im Jahr 2024 sind von den Unternehmen Kredite zu höheren Zinsen aufgenommen worden, weil sie erwarteten, auch künftig hohe Wachstumsraten der Produktion und hohe Gewinne zu erzielen. Die derzeitige allgemeine Verlangsamung der Produktionsdynamik bei anhaltend hohen Zinsen bedeutet, dass das Gleichgewicht zwischen steigenden Zinszahlungen und steigenden Einkommen der Kreditnehmer gestört ist. In einer solchen Situation ist die Zerstörung der finanziellen Belastungsfähigkeit der Kreditnehmer nur noch „eine Frage der Zeit“. Wenn sie erschöpft ist, kann es zu einer „Schuldenrezession“ kommen. Dabei würden sich die Verschlechterung der finanziellen Stabilität der Kreditnehmer und der Rückgang der Produktion wechselseitig bedingen.
Vermieden werden könnte eine „Schuldenrezession“ nach Einschätzung des CMASF zwar durch „starke positive makro-ökonomische Schocks.“ Für das CMASF sind entsprechende wirtschaftspolitische Maßnahmen oder Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die russische Wirtschaft aber noch nicht sichtbar.
2025 hat sich Russlands Wirtschaftswachstum bisher deutlich verlangsamt
In den ersten fünf Monaten des Jahres 2025 war das reale Bruttoinlandsprodukt laut ersten Berechnungen des Wirtschaftsministeriums 1,5 Prozent höher als im Vorjahreszeitraum. Dabei war es im Mai nur noch 1,2 Prozent höher als vor einem Jahr. Im April war es im Vorjahresvergleich noch um 1,9 Prozent gestiegen.
Der Russland-Experte des Wiener Instituts, Vasily Astrov, meint laut der wiiw-Pressemitteilung (English, German), dass hauptsächlich die „geldpolitische Vollbremsung“ der russischen Zentralbank für den Wachstumseinbruch in Russland verantwortlich sei.
Im Verlauf des Jahres 2024 hatte die Zentralbank ihren Leitzins auf 21 Prozent erhöht. Anfang Juni wurde der Leitzins zwar in einem ersten Schritt um einen Prozentpunkt gesenkt worden. Mit 20 Prozent ist er aus Sicht des wiiiw aber immer noch exorbitant: „Die hohen Zinsen würgen die Wirtschaft ab, weil Kredite damit unerschwinglich sind und auch ein hoher Anreiz besteht, Geld auf Bankkonten zu horten“, argumentiert Astrov laut der Pressemitteilung. Er warnt, dass eine „Pleitewelle“ drohe. Teilweise könne sie auch große Konzerne und „Leitbetriebe“ erfassen.
Im „Country Overview Russia“ meint das wiiw zur Geldpolitik der Zentralbank, die Politik zweistelliger Realzinsen, die durch die „vermeintliche Notwendigkeit“ motiviert sei, die Inflation näher an das 4-Prozent-Ziel zu bringen, habe die ohnehin zu erwartende Verlangsamung des Wachstums der russischen Wirtschaft wohl noch deutlich verstärkt.
Bei einer Lockerung der Geldpolitik wächst die Wirtschaft 2025 um 2,0 Prozent
Das wiiw stellt in seinem „Country Overview Russia“ fest, dass sich das Wachstum der russischen Wirtschaft nach zwei Jahren Boom deutlich abgeschwächt hat. Es verweist darauf, dass die jährliche Wachstumsrate der Gesamtwirtschaft in den ersten vier Monaten des Jahres 2025 bei einem Anstieg der Industrieproduktion von 1,2 Prozent lediglich 1,6 Prozent erreicht habe. Selbst dieses Ergebnis sei ausschließlich der Rüstungsproduktion zu verdanken. Eine Verlangsamung des Wachstums sei angesichts des Auslaufens der „kriegsbedingten fiskalischen Impulse“ und der durch die Sanktionen bedingten Importsubstitution aber auch zu erwarten gewesen.
In seinem „Basis-Szenario“ bleibt das Wiener Institut aber bei seiner Prognose eines BIP-Wachstums von 2 Prozent für 2025. Dabei nimmt es an, dass der Senkung des Leitzinses auf 20 % wahrscheinlich weitere Senkungen folgen. Gleichzeitig warnt das wiiw: „Sollte sich die geldpolitische Lockerung jedoch verzögern oder zu langsam erfolgen, könnte das Wachstum in diesem Jahr durchaus eher bei 1-1,5% liegen.“
Das wiiw stellt fest, das allgemeine Kreditwachstum sei in Russland real ins Stocken geraten. Das Wachstum der privaten Kredite sei sogar negativ geworden, was die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern und Wohnraum beeinträchtige. Mit der Abkühlung der Nachfrage sei die Inflation bis April auf annualisierter Basis auf rund 6 % gesunken.
Das Institut erwartet, dass eine geldpolitische Lockerung neben einer Unterstützung der Kreditaktivität auch einen „dringend benötigten Abwertungsdruck“ auf den Rubel ausüben dürfte. Der Rubel habe seit Jahresbeginn gegenüber dem US-Dollar um rund 20 Prozent aufgewertet. Zusammen mit den sinkenden Ölpreisen belaste dies Russlands Staatseinnahmen.
Wiiw Country Overview – Wichtigste Wirtschaftsindikatoren

Seine Wachstumsprognose für 2026 senkt das wiiw von +2,5 auf +1,8 Prozent
Ende April hatte das wiiw noch erwartet, das Wachstum der russischen Wirtschaft werde im nächsten Jahr wieder anziehen und auf 2,5 Prozent steigen. Im Frühjahr hatte es nach Einschätzung des wiiw nämlich noch so ausgesehen, als ob die US-Sanktionen angesichts einer Annäherung der Positionen der beiden Präsidenten Trump und Putin zum Ukraine-Krieg bald gelockert oder aufgehoben werden könnten.
Diese Hoffnung hat sich laut der Pressemitteilung des wiiw aber „vorerst in Luft aufgelöst“. In seinem „Country Overview Russia“ meint das wiiw jetzt, es sei inzwischen zunehmend unwahrscheinlich, dass die Entspannung der Beziehungen Russlands zu den USA – und die damit verbundene Aussicht auf eine Lockerung der Sanktionen – über das derzeitige Stadium hinausgehen werde. Astrov erklärt: „Das ist ein weiterer wesentlicher Grund dafür, warum Russland 2026 langsamer wachsen dürfte, als noch vor kurzem angenommen.“ Für 2026 rechnet das wiiw jetzt mit einer weiteren Abschwächung des Wirtschaftswachstums auf 1,8 Prozent.
Diese Prognose deckt sich fast mit der Prognose der Eurasischen Entwicklungsbank, die davon ausgeht, dass Russlands Wachstum 2026 von +2,0 Prozent auf +1,7 Prozent sinkt.
Russlands Haushaltsdefizit steigt 2025 auf 1,8 Prozent des BIP
Als einen weiteren Grund für die Abschwächung des Wachstums der russischen Wirtschaft verweist das wiiw darauf, dass Russlands Einnahmen aus dem Ölgeschäft angesichts niedrigerer Preise gesunken seien. Außerdem stoße die Substitution von Importen aus dem Westen durch eigene Produkte zunehmend an ihre Grenzen.
Vasily Astrov hält den Rückgang der Energie- und Steuereinnahmen für Russlands Haushaltsentwicklung aber nicht für „bedrohlich“. Die russische Regierung habe nach wie vor genügend finanziellen Sprielraum. Sie verfüge noch über fiskalische Reserven und habe die Möglichkeit, bei heimischen Banken Kredite aufzunehmen. Russlands Budgetdefizit wird laut wiiw-Prognose 2025 allerdings nicht wie von der Regierung geplant auf 0,5 Prozent des BIP begrenzt werden können, sondern auf 1,8 Prozent des BIP steigen.
Im Osteuropa-Vergleich fällt Russland 2026 ans Ende der Wachstumsskala
Auch wenn sich die vergleichsweise hohe Wachstumsprognose des wiiw für das diesjährige Wachstum der russischen Wirtschaft (+2,0 Prozent) bestätigen sollte, wächst Russland laut wiiw bereits im laufenden Jahr deutlich schwächer als Polen (+3,5 Prozent), die Türkei (+3,4 Prozent), Serbien (+3,0 Prozent) und Kroatien (+2,9).

Im nächsten Jahr sieht das wiiw Russland sogar am Ende der Wachstumsrangliste: Russland wird dann auch bei einem Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts von +1,8 Prozent schwächer wachsen als sämtliche anderen in der obigen Abbildung erfassten Länder in Mittel-, Ost- und Südosteuropa.
Haupttreiber der Konjunktur in Mittel- und Osteuropa sind laut wiiw der Private Verbrauch und kräftige Reallohnsteigerungen. In Polen, dem größten Markt der Region, rechnet das wiiw in diesem und im nächsten Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von 3,5 Prozent.
Für die Türkei erwartet das wiiw 2025 einen BIP-Zuwachs von 3,4 Prozent und 2026 ein Plus von vier Prozent.
Lesetipps:
- fr.de; Stefan Scholl: Schuldenkrise in Russland, 05.07.25
- Südtirol News: Wirtschaft wird immer fragiler. Russische Wirtschaftsexperten warnen – und widersprechen Putin, 03.07.25
- FOCUS-online, dpa: Kreml unter Druck. Putin redet Russlands Wirtschaft schön – Gefolgsmann sieht „perfekten Sturm“ aufziehen, 02.07.25
- Newsweek; Brendan Cole: Russia’s Officials Keep Contradicting Putin on War Economy, 01.07.25
- Radio Free Europe Radio Liberty; Mike Eckel: Russia’s War Economy Is Heading To Recession. It Probably Won’t Slow Down The War. 01.07.25
- Finam.ru; Dmitry Polevoy, Investment Director of JSC Astra Asset Management: Is Russia’s economy in a state of controlled cooling or recession? 01.07.25
- The Spectator, Mark Galeotti: Will Putin really rein in Russia’s defence spending? 30.06.25
- realnoevremya.com; Yulia Garaeva: ‘Winter’ in the economy: recession, risks of ruble devaluation, and a new round of inflation; 30.06.25
- Interfax.com: Russia’s economy corresponds to soft landing – Central Bank Deputy Governor Zabotkin, 30.06.25
- MSN.com. Bohdan Babaiev: Putin says Russia will cut military spending as economy is ‚on the brink of going into a recession‘, 28.06.25
- Forbes.ru; Natalia Orlova: Russian Economy: Crisis Braking or Premature Panic, 27.06.25

