Autor: Klaus Dormann
Der Internationale Währungsfonds senkte am 29. Juli seine Prognose für das diesjährige Wachstum der russischen Wirtschaft von 1,5 Prozent auf 0,9 Prozent. Damit unterschreitet der IWF als erste der Internationalen Wirtschaftsorganisationen die Wachstumsspanne, die von der russischen Zentralbank als Prognose für 2025 am 25. Juli erneut genannt wurde. Innerhalb dieser weit gesteckten Spanne von 1,0 bis 2,0 Prozent liegen jetzt noch die Mitte Mai/Anfang Juni veröffentlichten Wachstumsprognosen der Weltbank (+1,4%), der OECD (+1,0%), der EU-Kommission (+1,7%) und der Vereinten Nationen (+1,5%).
Die Konjunkturdaten zur Entwicklung der russischen Wirtschaft im Juni hat das Statistikamt Rosstat – anders als angekündigt – bisher noch nicht vollständig veröffentlicht. Unter anderem fehlen noch Angaben zur Entwicklung des Einzelhandels. Erste Schätzungen zur Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Produktion im zweiten Quartal sind deswegen noch nicht möglich. Russlands Industrieproduktion war im zweiten Quartal nach ersten Berechnungen des Statistikamtes Rosstat jedoch bereinigt 0,6 Prozent höher als im Vorquartal, so das Moskauer „Zentrum für makroökonomische Analysen und kurzfristige Prognosen“, CMASF. Das spricht dafür, dass auch Russlands gesamtwirtschaftliche Produktion im zweiten Quartal gegenüber dem Vorquartal gewachsen ist.
Die Ergebnisse der monatlichen Unternehmensumfrage des Research-Unternehmens S&P Global signalisieren für Juli allerdings eine deutliche weitere Abschwächung der Geschäftsaktivitäten der Unternehmen im Bereich des „Verarbeitenden Gewerbes“. Der „Einkaufsmanager-Index“, der „S&P Global Russia Manufacturing Purchasing Managers’ Index“, sank auf den tiefsten Stand seit drei Jahren.
IWF: Straffe Geldpolitik und niedrigere Ölpreise drücken Russlands Wachstum
Die neue IWF-Prognose und die Verlangsamung des Wachstums der russischen Wirtschaft kommentierte Petya Koeva-Brooks, Stellvertretende Direktorin der Forschungsabteilung des IWF, in der IWF-Pressekonferenz zusammengefasst so (Video, Min. 33):
Wir erwarten, dass sich das Wachstum der russischen Wirtschaft im Jahr 2025 verlangsamt. Dies ist vor allem auf die Straffung der Geldpolitik („policy tightening“) und die niedrigeren Ölpreise zurückzuführen. Wir erwarten, dass das Wachstum in diesem Jahr mit 0,9 Prozent um 0,6 Prozentpunkte niedriger ausfallen wird als wir bisher annahmen (+1,5 Prozent).
Diese Senkung der Prognose spiegelt auch die zeitliche Entwicklung des Wachstums. Das Wachstum war im letzten Quartal 2024 höher als wir erwartet haben, was zu einer Anhebung unserer Wachstumsprognose für das Jahr 2024 führte (von +4,1 Prozent in der IWF-Frühjahrsprognose auf jetzt +4,3 Prozent). Die Kehrseite davon ist jedoch, dass wir im ersten Quartal dieses Jahres ein niedrigeres Wachstum als erwartet verzeichneten.
Gleichzeitig sehen wir auch in aktuellen Indikatoren, wie den Einzelhandelsumsätzen und der Industrieproduktion sowie den offiziellen monatlichen BIP-Zahlen, eine „relative Schwäche“, die wiederum zu dieser Herabstufung der Prognose für 2025 geführt hat.
Bei einem Presse-Briefing im Vorfeld der Aktualisierung der IWF-Prognose hatte die Direktorin der IWF-Kommunikationsabteilung, Julie Kozack, als einen weiteren Grund für die Abschwächung des Wachstums der russischen Wirtschaft auch die Verschärfung der Sanktionen genannt.
Russlands Wirtschaftsministerium arbeitet an neuer Prognose
Ein Sprecher des russischen Wirtschaftsministeriums meinte laut Wedomosti zur Senkung der IWF-Prognose, es sei nicht das erste Mal, dass internationale Finanzinstitute negative Prognosen zur Entwicklung der russischen Wirtschaft abgegeben hätten. In den letzten Jahren habe jedoch keine dieser übermäßig konservativen Schätzungen den Tatsachen entsprochen. Das Ministerium erarbeite derzeit eine Prognose, die alle Faktoren berücksichtigen werde.
In der bisher letzten Prognose des Wirtschaftsministeriums vom April, die auch der Haushaltsplanung zugrunde gelegt wurde, wird für 2025 ein Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent erwartet. Finanzminister Anton Siluanow hat jedoch bereits Anfang Juli am Rande einer Konferenz der BRICS-Staaten in Rio de Janeiro mitgeteilt, er erwarte in Russland in diesem Jahr 1,5 bis 2,0 Prozent Wachstum (Wedomosti.ru).
Analysten-Umfragen lassen 2025 rund 1,5 Prozent Wachstum erwarten
Bei einer Anfang August veröffentlichten Analysten-Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters erwarteten die 14 Teilnehmer im Durchschnitt für 2025 weiterhin ein Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts von 1,5 Prozent. Das Moskauer „Center for Macroeconomic Analysis and Short-Term Forecasts“, CMASF, blieb nach Veröffentlichung der Daten zum jährlichen Anstieg der Industrieproduktion im zweiten Quartal bei seiner Prognose, dass das reale Bruttoinlandsprodukt 2025 um 1,0 bis 1,4 Prozent wachsen dürfte („Basic Version of Economic Forecast 2025-2028„). Mit einem Wachstum von 1,4 Prozent wurde im Juli bei Umfragen der russischen Zentralbank und der Nachrichtenagentur Interfax gerechnet.
BIP-Prognosen 2024 bis 2026
Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

IWF: Russland wächst 2025 und 2026 ähnlich schwach wie die Euro-Länder
Während der IWF seine Wachstumsprognose für das diesjährige Wachstum der russischen Wirtschaft im Vergleich zu seiner April-Prognose um 0,6 Prozentpunkte senkte, hob er seine Prognose für das Wachstum der Weltwirtschaft um 0,2 Prozentpunkte auf 3,0 Prozent an (Finmarket.ru).
Auch seine Prognose für das Wachstum der Euro-Länder erhöhte der IWF um 0,2 Prozentpunkte. Dennoch wird das Wachstum der Euro-Länder mit +1,0% im Jahr 2025 laut der IWF-Prognose fast so schwach sein wie das Wachstum der russischen Wirtschaft (+0,9%). Auch 2026 werden die Euro-Länder kaum schneller wachsen (+1,2%) als Russland (+1,0%).
In den beiden letzten Jahren sind die Euro-Länder viel schwächer gewachsen (2023: +0,5%, 2024: +0,9%) als die russische Wirtschaft (2023: +4,1%, 2024: +4,3%). Die deutsche Wirtschaft schrumpfte sogar gleichzeitig etwas (2023: -0,3%; 2024: -0,2%). Sie wird laut IWF auch 2025 annähernd stagnieren (+0,1%).

MF:World Economic Outlook Update, July 2025, 29.07.25; Chart-Adresse
Kommentare aus Russland zur IWF-Prognose
Expert.ru hat Meinungen einiger russischer Analysten zu der IWF-Prognose eingeholt. Nachstehend eine Zusammenfassung der Positionen.
Natalia Orlova, Chef-Volkswirtin der Alfa Bank, vermutet, dass die Abwärtskorrektur der IWF-Prognose auf 0,9 Prozent damit zusammenhängen könnte, dass der IWF die Risiken der Sanktionen für Russland neu bewertet hat. US-Präsident Donald Trump hatte zuvor erklärt, er gebe Russland 50 Tage Zeit, um den bewaffneten Konflikt in der Ukraine zu lösen. Am 29. Juli verkürzte er diese Frist auf 10 Tage und drohte mit mit der Verhängung von Sekundärzöllen, zum Beispiel gegenüber Indien, in Höhe von 100 %. Während man in Russland davon ausgehe, dass die Sanktionen nur eine begrenzte Wirkung haben könnten, rechneten ausländische Experten in der Regel mit schwerwiegenderen Schäden durch Sanktionen, erklärte Orlova.
Nach Einschätzung Orlovas liegt die russische Wirtschaft bisher in diesem Jahr auf einem Wachstumskurs von 1,3 %. Unabhängig davon, ob die Wachstumsrate 1,3 %, 1,0 % oder 0,9 % betrage, werde das Wachstum nur rund ein Viertel der 2023 und 2024 erreichten Wachstumsraten betragen.
Die Abschwächung des Wachstums ist ihrer Ansicht nach teilweise auf niedrigere Subventionen bei der Aufnahme von Hypothekendarlehen zurückzuführen. Das habe die Produktion im Bausektor gedämpft. Auch Orlova meint, dass sich die Anhebung des Leitzinses im Jahr 2024 negativ ausgewirkt hat. Die höheren Zinsen hätten das Wachstum der Kreditmärkte und damit das Wachstum der gesamten Wirtschaft gebremst.
Vladimir Eremkin, Forscher im „IPEI Structural Research Laboratory“ der „Russian Presidential Academy of National Economy and Public Administration (RANEPA)“, meint, dass die Entwicklung der russischen Wirtschaft weiterhin durch einen hohen Leitzins, einen Mangel an Arbeitskräften und die Gefahr zusätzlicher Sanktionen belastet wird. Auch mögliche Einsparungen im Staatshaushalt könnten das Wachstum bremsen. Eremkin glaubt jedoch, sich die Lage in diesen Bereichen seit April 2025 (als der IWF seine letzte Prognose veröffentlichte) nicht spürbar verschlechtert hat. Daher gebe es keinen Grund, die Wachstumsprognose um 0,6 Prozentpunkte zu senken. Er geht davon aus, dass das BIP-Wachstum in diesem Jahr 1,4 bis 1,6 Prozent betragen könnte.
Laut Eremkin könnte das BIP-Wachstum durch folgende Faktoren gefördert werden:
eine stabile Binnennachfrage bei steigenden Realeinkommen der Bevölkerung;
eine Verlangsamung der Inflation und eine Lockerung der Geldpolitik;
höhere Haushaltsausgaben mit der Fortsetzung großer Infrastrukturprojekte.
Elena Akhmedova, Chief Economist of JSC Euler Analytical Technologies, meint, ein zusätzlicher Wachstumseffekt könnte sich aus einer erhöhten Ölproduktion ergeben, da die Beschränkungen im Rahmen des OPEC+-Abkommens gelockert werden. Insgesamt werde sich die russische Wirtschaft einem „ausgewogenen Wachstumspfad“ annähern. Das Produktionspotenzial steige aufgrund von Investitionen während das Wachstum der Nachfrage unter dem Einfluss der restriktiven Geldpolitik allmählich nachlasse. Sie prognostiziert ein BIP-Wachstum von 1,5 bis 2 % im Jahr 2025 und rund 1,5 % im Jahr 2026.
Einkaufsmanagerindex des „Verarbeitenden Gewerbes“ weit unter der „Wachstumsschwelle“
Umfragen zur Geschäftsentwicklung russischer Unternehmen signalisieren allerdings eine deutliche Eintrübung der Wachstumsperspektiven. Das weltweit tätige Research-Unternehmen „S&P Global“ befragt monatlich auch russische Unternehmen zur Geschäftsentwicklung. In der letzten Woche wurden die Ergebnisse der Juli-Umfrage im „Verarbeitenden Gewerbe“ Russlands veröffentlicht, der sogenannte „Einkaufsmanager-Index“.
Der „S&P Global Russia Manufacturing Purchasing Managers’ Index (PMI)“ hatte im Frühjahr 2024 einen langjährigen Höchsstand erreicht. Seitdem ist er mit kräftigen Schwankungen saisonbereinigt im Trend stark gefallen. Seit September 2024 unterschritt er wiederholt die „Wachstumsschwelle“ von 50 Indexpunkten. Das signalisiert eine Abnahme der Geschäftsaktivitäten der Unternehmen im Vergleich zum Vormonat.
Einkaufsmanager-Index für das „Verarbeitende Gewerbe“
Langfristige Entwicklung seit Januar 2008, saisonbereinigt

S&P Global: Steepest drop in Russian manufacturing production for three years in July, 01.08.25
Im Juni 2025 fiel der Einkaufsmanager-Index auf 47,5 Punkte, im Juli sank er auf nur noch 47,0 Punkte. Das ist der tiefste Stand seit dem Frühjahr 2022, kurz nach dem Beginn des Ukraine-Krieges.
Einkaufsmanager-Index für das „Verarbeitende Gewerbe“
Entwicklung seit Juli 2023

TradingEconomics: Russia Manufacturiing PMI, 01.08.25
S&P Global berichtet zur aktuellen Geschäftsentwicklung im Verarbeitenden Gewerbe unter anderem:
Die Auftragseingänge bei den Unternehmen gingen im Juli zum vierten Mal in den letzten fünf Monaten zurück. Dabei beschleunigte sich der Rückgang auf das höchste Tempo seit März 2022. Die Unternehmen berichteten, die schwache Nachfrage sei teilweise auf finanzielle Probleme der Kunden zurückzuführen.
Allerdings sind die Aufträge aus dem Ausland erstmals seit fünf Monaten wieder gestiegen. Die Unternehmen gaben an, dass der Anstieg nicht auf Aufträge aus neuen Exportmärkten, sondern auf höhere Auftragseingänge aus bestehenden Exportmärkten zurückzuführen sei.
Die Produktion ist bereits in den letzten fünf Monaten jeweils gesunken. Der jüngste Rückgang war der stärkste seit drei Jahren. Angesichts des beschleunigten Absatzrückgangs senkten die Unternehmen ihre Produktionspläne zu Beginn des dritten Quartals.
Einkaufs- und Verkaufspreise stiegen im Juli zwar weiter, im langfristigen Vergleich aber nur schwach. Die Verkaufspreise stiegen aufgrund des verstärkten Wettbewerbs und wegen des sehr langsamen Anstiegs der Betriebskosten so langsam wie seit November 2022 nicht mehr.
Bei geringeren Auftragseingängen und Maßnahmen zur Kostensenkung führte ein Rückgang der Produktion im Juli zu einem weiteren Rückgang der Beschäftigung und der Beschaffungskäufe.
Der Auftragsbestand wurde im Juli zügig abgebaut. Die Unternehmen konnten ihre Auftragsrückstände abarbeiten.
Die Lagerbestände an Vorprodukten wurden den sechsten Monat in Folge verringert, wenn auch in geringerem Tempo. Im Gegensatz dazu führten Auftragsstornierungen zu einem erneuten Anstieg der Lagerbestände an Fertigprodukten.
Gleichzeitig blieben die Unternehmen optimistisch, dass die Produktion im kommenden Jahr steigen wird. Sie hoffen, dass Investitionen in neue Produkte, Maschinen und Anlagen zur Steigerung des Absatzes beitragen.
Podcasts und Lesetipps:
- Eduard Steiner im Gespräch mit Vasiliy Astrov, wiiw:Böses Erwachen in Russland: Bekommt die Wirtschaft nun die Rechnung für den Ukraine-Krieg? 30.07.25
- ZEIT-Podcast „Was jetzt?“: Geht Putin jetzt das Geld aus? Michael Thumann, Leiter des Moskauer ZEIT-Büros, im Gespräch mit Constanze Kainz über die wirtschaftliche Lage Russlands und über die Frage, ob Geldmangel Putin tatsächlich zum Einlenken zwingen könnte; Video, 22 Min., 24.07.25
- Deutsch-Russische Auslandshandelskammer: Podcast „Zaren. Daten. Fakten„; Thomas Baier im Gespräch mit Oliver Kempkens: Bankenkrise in Russland? Ein Blick hinter die Kulissen, 23.07.25
- Deutsch-Russische Auslandshandelskammer: Fokusanalysen, deutsch; auch russisch: Trumps Zolldrohung gegen Russland und seine Handelspartner, 21.07.25
- Kommersant, Artem Chugunov: There is nothing to warm up the demand with; Sberindex; Einkommen und Konsum, 31.07.2025
- The Moscow Times; Tatyana Rybakova: What Is Behind Russia’s Wartime Prosperity Paradox? 30.07.25
- Business-Insider; Huileng Tan: IWF-Prognose: Russlands Wachstum schwächt sich 2025 deutlich ab. Russlands Konjunktur verliert an Schwung: IWF korrigiert Wirtschaftsprognose nach unten, 30.07.25
- The Moscow Times: IMF Slashes Russia’s Economic Forecast as Wartime Growth Slows, 30.06.25
- Wedomosti; Ksenia Kotchenko: IWF senkt Prognose für russisches Wirtschaftswachstum in diesem Jahr auf 0,9 Prozent, 29.07.25
- Finmarket.ru: Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung: Die ultrakonservativen Schätzungen internationaler Finanzinstitute zur Dynamik des russischen BIP haben sich nie bewahrheitet, 30.07.25
- Finmarket.ru: IWF senkt Prognose für russisches BIP-Wachstum im Jahr 2025 auf 0,9 Prozent, erhöht Prognose für Weltwirtschaft auf 3 Prozent, 29.07.25
- FAZ+, Katharina Wagner: Putins Reserven: Könnte Russland unter der Last des Krieges zusammenbrechen? Volltext in Inosmi.ru, 29.07.25
- bne IntelliNews: Comment: Why Russia’s economic model no longer delivers, 25.07.25
- The Telegraph; Jeremy Warner: Don’t bank on Russian economic collapse to save Ukraine. Western sanctions have failed to halt Putin’s expansionist ambitions, 24.07.25
- US News; Reuters: Explainer-Why the Russian Rouble Is Outperforming and What It Means, 24.07.25
- George Friedman; Cicero.de: Ukrainekrieg – Putins verlorene Wette, 24.07.25; Geopolitical Futures: Putin’s dilemma. Analyzing the process by which the Russia-Ukraine war will end, 22.07.25

