Autor: Jonas Prien

Ein struktureller Wandel verändert Kasachstans Landwirtschaft und eröffnet Investoren unerwartete Chancen in einem strategischen Bereich. Vor allem der Markt für tierische Produkte bietet Wachstumschancen in der lokalen Produktion und im Export.
Kasachstan, das neuntgrößte Land der Erde, ist nicht nur reich an Rohstoffen, sondern zunehmend auch an strategischer Ambition: Die Landwirtschaft, lange Zeit unter ihrem Potenzial, soll zur tragenden Säule der wirtschaftlichen Diversifizierung werden. Dabei geraten insbesondere tierische Lebensmittel wie Fleisch, Milch und Eier ins Zentrum eines staatlich orchestrierten Aufbruchs, der sich durch klare Förderpolitik, technologische Modernisierung und exportorientiertes Denken auszeichnet.
Historisch war die Viehwirtschaft als Rückgrat der kasachischen Lebensweise tief verwurzelt in der nomadischen Kultur der Steppe. Über Jahrhunderte hinweg organisierten kasachische Clans ihre Wirtschaft entlang saisonaler Wanderungen, bei denen sie Herden von Schafen, Pferden, Rindern und Kamelen zwischen Sommer- und Winterweiden führten. Dieses mobile Wirtschaftssystem ermöglichte eine nachhaltige Nutzung knapper Ressourcen in einem Klima mit extremen Temperatur- und Niederschlagsschwankungen. Die Viehzucht war dabei nicht nur ökonomisches Fundament, sondern auch sozialer Marker. Besitz an Tieren bedeutete Reichtum, Prestige und politische Bedeutung. Noch heute prägt dieses Erbe das kulturelle Selbstverständnis Kasachstans und liefert zugleich einen narrativen Anknüpfungspunkt für eine moderne Ausrichtung als Produzent hochwertiger tierischer Produkte.
Strukturreformen und ambitionierte Ziele
Der „Plan zur Entwicklung der Agrarindustrie 2024–2028“ des kasachischen Landwirtschaftsministeriums ist nichts weniger als ein Bekenntnis zur Umgestaltung eines ganzen Sektors. Binnen vier Jahren soll sich die Bruttoagrarproduktion von derzeit 16,3 auf über 33 Milliarden US-Dollar verdoppeln, während die Lebensmittelexporte auf 10 Mrd. USD anwachsen sollen. Der Staat stellt dazu massive Mittel bereit: 20 Mrd. USD an zinsgünstigen Krediten und jährliche Subventionen von bis zu 1,7 Mrd. USD sollen Agrarbetriebe zu Investitionen animieren.
Doch dies ist kein blindes Geldausschütten. Vielmehr orientiert sich die Förderpolitik am Aufbau integrierter Wertschöpfungsketten, in denen regionale Agrarcluster, etwa in der Weizenverarbeitung oder im Gewächshausanbau, die Lücke zwischen Primärproduktion und hochwertiger Verarbeitung schließen sollen.
Tierische Produkte: Binnenmarkt boomt, Exporte steigen
Besonders dynamisch entwickelt sich der Markt für tierische Erzeugnisse. Kasachstan zählt heute zu den wichtigsten Fleischexporteuren der Region und liefert Rindfleisch in acht Länder, darunter Usbekistan und mehrere Golfstaaten. Gleichzeitig sorgt eine wachsende, konsumfreudige Mittelschicht für steigende Inlandsnachfrage.
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Der kasachische Fleischmarkt wird 2025 auf 13,76 Mrd. USD geschätzt, mit einem erwarteten Wachstum von 8 % jährlich. Molkereiprodukte und Eier dürften im selben Zeitraum um rund 6 % pro Jahr zulegen. Besonders gefragt sind regional erzeugte Produkte, mit nachhaltigem Profil ein Hinweis darauf, dass Kasachstans Konsumenten wie auch seine Exportmärkte zunehmend Wert auf Qualität und Herkunft legen.
Maschinen, Milch und Marktmechanismen
Die Kehrseite der rasanten Entwicklung liegt in der strukturellen Rückständigkeit vieler Betriebe. Der Maschinenpark ist vielerorts veraltet, die Produktivität niedrig. Doch genau hier entstehen Zugänge für ausländische Anbieter, etwa durch Leasingmodelle, bei denen Technik über kasachische Partnerbetriebe in den Markt eingebracht wird.
2023 explodierten die Importe von Landtechnik auf 1,43 Mrd. USD, mehr als eine Verdreifachung gegenüber dem Vorjahr. Traktoren, Mähdrescher, Saatgutreiniger und Melktechnik aus Deutschland, China und Russland standen an der Spitze der Nachfrage. Mit Subventionen von bis zu 50 Prozent und gezielten Förderprogrammen für Bewässerung und Tierwohl (z. B. in der Futtermittel- oder Veterinärbranche) wird der Einstieg für internationale Anbieter zusätzlich erleichtert.
Markteintritt mit Restriktionen
So verheißungsvoll das Marktpotenzial auch ist: Ausländische Direktinvestoren sehen sich mit klaren regulatorischen Grenzen konfrontiert. Der Erwerb von Agrarland ist Ausländern untersagt, langfristige Pachtverträge sind nur über juristisch kasachische Partnerstrukturen möglich.
Doch dies bedeutet keineswegs das Ende unternehmerischer Ambitionen. Vielmehr verlagert sich der Fokus auf Joint Ventures, Genossenschaften und Dienstleistungs- oder Leasingmodelle. Diese erlauben den Markteintritt ohne Grundbesitz und bieten steuerlich attraktive Rahmenbedingungen, insbesondere bei lokalisierter Wertschöpfung.
Zudem eröffnet das Internationale Finanzzentrum Astana (AIFC) Zugang zu vereinfachten rechtlichen Verfahren und stabilen Investitionsbedingungen. Für Projekte mit strategischer Relevanz, etwa in der Lebensmittellogistik oder Fleischverarbeitung, lassen sich staatlich garantierte Steuererleichterungen, Zollbefreiungen und Investitionsverträge verhandeln.
Kasachstan denkt regional und langfristig
Die kasachische Agrarpolitik ist kein Selbstzweck. Sie reiht sich ein in eine umfassendere Vision: Kasachstan als geostrategischer Versorger zwischen China, Russland und dem Nahen Osten. In einer Welt wachsender Unsicherheiten, politisch wie klimatisch, positioniert sich das Land als verlässlicher, rohstoffreicher Exporteur von Lebensmitteln und als Partner für jene, die früh auf Kooperation setzen.
Vor allem deutsche und europäische Unternehmen mit Spezialisierung auf nachhaltige Tierhaltung, Tiergesundheit, Agrartechnik oder Digitalisierung sollten Kasachstan im Blick behalten, nicht als reines Absatzgebiet, sondern als Entwicklungspartner in einem neuen, landwirtschaftlichen Ökosystem.