Autor: Jonas Prien

Es sind klare Worte, die Yavuz Yiğit findet, wenn er über das türkische Bildungssystem spricht. Der Sozialunternehmer und Bildungsexperte verfolgt seit Jahren intensiv die Entwicklungen in der türkischen Schul- und Universitätspolitik. Im Hinblick auf die Bedürfnisse und Wünsche der jungen Generation schlägt er eine neue Richtung vor. „Deutsch wird in Zukunft nicht mehr dieselbe Rolle spielen wie früher“, sagt Yiğit im Gespräch. Stattdessen brauche es eine breitere, strategische Ausrichtung in Sprache und Kultur: mehr Arabien, mehr China, mehr Afrika.
Das mag überraschen. Schließlich sind die Verbindungen zwischen der Türkei und Deutschland tief. Rund fünf Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln leben in der Bundesrepublik. Deutsch wird an unzähligen türkischen Schulen als zweite Fremdsprache unterrichtet und wirtschaftlich sind beide Länder eng verflochten. Doch Yiğit sieht in dieser Nähe zunehmend ein Missverständnis: „Nur weil viele Türken Deutsch sprechen, heißt das nicht, dass es die einzige Sprache der Zukunft sein sollte.“
Die Welt wird größer
Was Yiğit fordert, ist kein Bruch mit Deutschland, sondern ein Perspektivwechsel. Jahrzehntelang habe sich die Türkei bildungspolitisch an Europa orientiert. Doch die Welt sei komplexer geworden. Die Türkei sei nun ein geopolitischer Akteur mit wachsendem Einfluss. „Wir sind heute in Afrika, im Nahen Osten und in Zentralasien aktiv. Warum sollten wir nicht auch diese Räume sprachlich und kulturell erschließen?“, fragt er.
Tatsächlich wächst das diplomatische Netz der Türkei rasant. Allein in Afrika hat Ankara in den letzten Jahren mehr als 40 Botschaften eröffnet. Parallel dazu baut das Land seine Rolle als militärische und wirtschaftliche Regionalmacht aus. In diesem Kontext wirkt es fast überfällig, dass sich auch die Bildung öffnet, weg von der traditionellen Fixierung auf Europa, hin zu einer multipolaren Welt.
Junge Menschen schauen voraus
Die türkische Jugend scheint bereits weiter zu sein als das offizielle Curriculum. Einer Studie zufolge wollen 65 Prozent der jungen Menschen das Land verlassen, nicht unbedingt nach Deutschland, sondern dorthin, wo sie wirtschaftliche Perspektiven und persönliche Freiheiten sehen. Yiğit sieht darin ein Symptom globaler Entwicklungen: „Social Media zeigt den Jugendlichen jeden Tag, wie andere Menschen leben. In Dubai, in Toronto, in Shanghai. Das verändert ihre Erwartungen und ihre Ziele.“
Das birgt auch Risiken. Viele junge Menschen verlassen die Türkei voller Hoffnung, nur um im Ausland kulturelle Kälte, soziale Isolation oder Enttäuschung über die Realität zu erleben. „In Berlin gibt es vielleicht Verwandte, aber keine Çay-Kultur“, sagt Yiğit lakonisch. Doch das Auslandserlebnis hat auch Potenzial: Wer zurückkehrt, bringt nicht nur Sprachen und Netzwerke mit, sondern auch den Willen, die eigene Gesellschaft zu gestalten.
Der Aufbruch beginnt in der Schule
Für Yiğit ist klar: Wenn die Türkei eine gestärkte, selbstbewusste Rolle in der Welt einnehmen will, muss sie auch ihre Jugend darauf vorbereiten. Und das beginnt in der Schule. Deutsch bleibt aus historischen und praktischen Gründen ein wichtiger Bestandteil. Aber es darf nicht mehr der alleinige Fixpunkt sein. „Wir müssen diversifizieren“, sagt er. Nur dann könne die Bildungspolitik den Wandel der Welt wirklich abbilden.
Hintergrund
Yavuz Yiğit ist Sozialunternehmer und bildungspolitischer Berater. Er engagiert sich in Bildungs- und Demokratieförderprojekten in der Türkei und Europa. Im TÜRK IT EASY Podcast spricht er über Jugend, Bildung und die geopolitische Rolle der Türkei.
Hier geht es zum TÜRK IT EASY Podcast:
Spotify: https://open.spotify.com/episode/1SuCuHqHB35TyJFeMngo5F?si=ORuNNFAqS8yuHl96PTP-5w
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