Autor: Klaus Dormann
Kurz nach Ostern aktualisierten die russische Regierung, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank ihre Prognosen für das Wachstum der russischen Wirtschaft. Sie änderten sich kaum. Damit bleiben die Prognosen von IWF und Weltbank für Russlands Wirtschaftswachstum deutlich unter den Wachstumserwartungen der russischen Regierung für 2025 und 2026. Auch die russische Zentralbank sieht Russlands Wachstumsperspektiven viel skeptischer als die Regierung. Der Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts im Vergleich zum Vorjahr hat sich in Russland bereits seit fast einem Jahr merklich abgeschwächt.
IWF und Weltbank erwarten viel weniger Wachstum als die Regierung
Russlands Regierung rechnet jetzt seit Anfang September unverändert damit, dass das reale Bruttoinlandsprodukt des Landes 2025 um 2,5 Prozent steigt (Finmarket.ru). IWF und Weltbank erwarten in diesem Jahr hingegen beide nur ein Wachstum von rund 1,5 Prozent in Russland. Der IWF erhöhte in seinem „World Economic Outlook“ seine Prognose für Russlands diesjähriges Wirtschaftswachstum nur geringfügig von 1,4 auf 1,5 Prozent. Die Weltbank senkte ihre Prognose im „Europe and Central Asia Economic Update“ von 1,6 auf 1,4 Prozent.
Noch weiter klaffen die Prognosen der Regierung und der beiden Internationalen Wirtschaftsorganisationen für 2026 auseinander. Der IWF senkte seine Erwartung für das Wachstum der russischen Wirtschaft im nächsten Jahr von 1,3 auf 0,9 Prozent. Die Weltbank prognostiziert jetzt zwar einen etwas stärkeren Anstieg um 1,2 Prozent für 2026. Auch damit würde die russische Wirtschaft aber nur halb so stark wachsen wie die Regierung erwartet. Die Regierung meint, die russische Wirtschaft werde 2026 mit 2,4 Prozent ihr diesjähriges Wachstumstempo von 2,5 Prozent fast halten.
Auch die russische Zentralbank ist viel skeptischer als die Regierung
Die russische Zentralbank teilt die Wachstumsprognosen ihrer Regierung weiterhin nicht. Die Wachstumserwartungen der Zentralbank in ihrer am 25. April aktualisierten „mittelfristigen Konjunkturprognose“ bleiben deutlich niedriger. Die von der Zentralbank genannten Spannen für das Wachstum der russischen Wirtschaft in den Jahren 2025 und 2026 decken aber die Prognosen des IWF und der Weltbank ab.
2025 ist laut der Zentralbank unverändert zu erwarten, dass der Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts zwischen 1,0 und 2,0 Prozent liegen dürfte (IWF: +1,5 Prozent, Weltbank: +1,4 Prozent, Regierung: +2,5 Prozent).
2026 wird das Wachstum laut der Zentralbank auf 0,5 bis 1,5 Prozent sinken (IWF: +0,9 Prozent, Weltbank: +1,2 Prozent; Regierung: + 2,4 Prozent).

Weltbank: Russlands Wachstum ist im internationalen Vergleich schwach
Im Blick auf die Jahre 2025 und 2026 stellt die Weltbank im „ECA Update“ fest: In Russland wird das Wachstum im Durchschnitt der beiden nächsten Jahre auf 1,3 Prozent sinken. Damit erreichte es nur knapp ein Drittel des Wachstums im vergangenen Jahr (laut Weltbank: 4,1 Prozent) und es ist schwächer als das in den Jahren 2010 bis 2019 im Durchschnitt erreichte Wachstum von rund 2 Prozent. Als Ursachen für Russlands Wachstumsschwäche nennt die Weltbank Kapazitätsengpässe, steigende Kreditkosten, verschärfte Sanktionen und niedrigere Energiepreise.
Die folgende Abbildung zeigt, dass die Weltbank in Russland in den Jahren 2025 und 2026 deutlich weniger Wirtschaftswachstum erwartet als in allen anderen abgebildeten Regionen im Raum „Europe and Central Asia (ECA)“. Die grünen Striche in der Abbildung markieren die im Zeitraum 2010 bis 2019 im Jahresdurchschnitt in der ECA-Region erreichte Wachstumsrate. Die Weltbank stellt heraus, dass das Wirtschaftswachstum in den Jahren 2025 und 2026 in der ECA-Region insgesamt und in vielen zu ihr gehörenden Ländern, darunter auch in Russland, unter diesem „Trendwachstum“ der Jahre 2010 bis 2019 bleiben dürfte.

Eastern Europe: Belarus, Moldova, Ukraine; Central Europe: Bulgaria, Croatia, Poland, Romania; Western Balkans: Albania, Bosnia and Herzegovina, Kosovo, Montenegro, Republic of North Macedonia, Serbia; South Caucasus: Armenia, Azerbaijan, Georgia; Central Asia: Kazakhstan, Kyrgyz Republic, Tajikistan, Turkmenistan, Uzbekistan
Deutschland ist noch wachstumsschwacher als Russland
Auch wenn das Wachstum der russischen Wirtschaft laut der IWF-Prognose 2025 auf 1,5 Prozent sinkt und 2026 nur noch 0,9 Prozent erreicht. Die deutsche Wirtschaft ist laut IWF noch viel wachstumsschwacher als Russland. Der IWF erwartet, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion in Deutschland 2025 stagniert. Erst 2026 werde in Deutschland Russlands schwaches Wachstum von 0,9 Prozent erreicht.

Vnesheconombank Institute: „World Economy and Markets Review“; 25.04.2025
Russlands Wirtschaftsministerium kam dem IWF und der Weltbank zuvor
Das russische Wirtschaftsministerium veröffentlichte die Aktualisierung seiner gesamtwirtschaftlichen Prognosen am Ostermontag, unmittelbar vor der Veröffentlichung der Prognosen des IWF am Dienstag und der Weltbank am Mittwoch. Seine schon im September veröffentlichte Prognose für das diesjährige Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts von 2,5 Prozent behielt das Ministerium unverändert bei. Seine Wachstumsprognose für 2026 senkte es auch nur sehr geringfügig von 2,6 Prozent auf 2,4 Prozent. 2027 erwartet es weiterhin ein gesamtwirtschaftliches Wachstum von 2,8 Prozent (siehe fünfte Zeile der folgenden Tabelle).
Vergleich der Prognosen des Wirtschaftsministeriums vom April und September
Verbraucherpreisanstieg (Dez./Dez. in %); Wert des Bruttoinlandsprodukts in Rubel; reales BIP-Wachstum in %; Wechselkurs: Rubel/$; Urals-Ölpreis ($/Barrel)

Evgeny Kogan; bitkogan: The Ministry of Economic Development has updated its forecast for the Russian economy: what does this mean for us? 22.04.25
Volkswirtschaftsprofessor: Die Ölpreise sind der wichtigste Risikofaktor
Vladimir Lyubetsky, außerordentlicher Professor am Institut für Volkswirtschaftslehre der „Akademie für Volkswirtschaft und Öffentlichen Dienst beim Präsidenten der Russischen Föderation“ (RANEPA), kommentierte die neue Wachstumsprognose des Wirtschaftsministeriums laut Finam.ru so:
„Der Rückgang der BIP-Wachstumsraten im Vergleich zum Wachstum im Jahr 2024 (+ 4,3 Prozent) ist ein völlig normaler – ich würde sagen notwendiger – Prozess. Die russische Wirtschaft wächst weiterhin schneller als die meisten entwickelten Volkswirtschaften der Welt.“
Lyubetsky hob die Bedeutung der Ölpreise für die russische Wirtschaft hervor:
„Als wichtigster negativer Faktor für die russische Wirtschaft gilt der Rückgang der Ölpreise. Die Preise auf dem Ölmarkt sind das Ergebnis vieler Prozesse: der Abschwächung des Wachstums der Weltwirtschaft, des Verfalls des Dollars, des Handelskrieges und vor allem der Unsicherheit aufgrund der politischen Entwicklung. Beim Eintritt eines negativen Szenarios mit weiter fallenden Ölpreisen könnte es zu einem Anstieg des Haushaltsdefizits und hoher Inflation kommen. Dies würde sich wiederum auf die Wachstumsrate des russischen Bruttoinlandsprodukts, die Möglichkeiten der Haushaltspolitik der Regierung und das Realeinkommen der Bevölkerung auswirken.“
Regierung: Der Urals-Ölpreis sinkt 2025 um 16 Prozent und erholt sich nur langsam
Russlands Wirtschaft steht vor der Herausforderung, sich auf die niedrigsten Ölpreise seit der Corona-Krise einzustellen. Laut der Prognose des Wirtschaftsministeriums wird der durchschnittliche Preis für die Ölsorte Urals im Jahr 2025 bei 56 US-Dollar pro Barrel liegen (s. vorletzte Zeile der obigen Tabelle). Dies wäre der niedrigste Preis seit 2020, als die Covid-19-Pandemie die weltweite Nachfrage einbrechen ließ und den Urals-Preis auf durchschnittlich 41,70 US-Dollar drückte. Das berichtet Merkur.de. Im Jahresdurchschnitt 2024 hat der Urals-Ölpreis noch knapp 67 US-Dollar betragen. Laut der Regierungsprognose wird er 2025 also um rund 11 US-Dollar sinken (rd. – 16 Prozent).
Der Investmentbanker Evgeny Kogan schätzt, dass ein Rückgang des Ölpreises um einen Dollar die jährlichen Einnahmen im russischen Staatshaushalt um rund 160 Milliarden Rubel (1,9 Milliarden Dollar) sinken lässt.
Sofia Donets, Chefvolkswirtin bei T-Investments, meint, ein Rückgang des russischen Rohölpreises um 10 Dollar von 65 auf 55 Dollar pro Barrel könnte das BIP-Wachstum um mindestens 0,5 Prozentpunkte verringern.
Das Wirtschaftsministerium erwartet zudem, dass sich der Ölpreis nur langsam erholen wird. Auch 2028 dürfte er mit rund 65 US-Dollar noch etwas niedriger sein als 2024.
Das Inflationsziel von 4 Prozent bleibt 2025 noch weit entfernt
Das Wirtschaftsministerium ging im September 2024 noch davon aus, dass sich der Anstieg der Verbraucherpreise bis zum Jahresende 2025 auf 4,5 Prozent abschwächen werde. Jetzt rechnet es aber damit, dass die jährliche Inflationsrate im Dezember 2025 noch 7,6 Prozent erreichen wird. Damit wäre sie noch fast doppelt so hoch wie die von der russischen Zentralbank angestrebte Rate von 4,0 Prozent. Dieses Ziel soll laut der neuen Regierungsprognose aber Ende 2026 erreicht sein (siehe erste Zeile der obigen Tabelle).
Bei der Einschätzung der Inflationsentwicklung sind sich die russische Regierung und die Zentralbank viel einiger als bei den Wachstumsprognosen. Die Zentralbank rechnet wie die Regierung damit, dass das „Inflationsziel“ im Dezember 2026 erreicht ist. Bis Dezember des laufenden Jahres werde die jährliche Inflationsrate aber nur auf 7,0 bis 8,0 Prozent sinken (siehe erste Zeile der folgenden Tabelle). Diese Prognosespanne deckt die Inflationsprognose der Regierung von + 7,6 Prozent ab.

Russian Central Bank: Bank of Russia’s medium-term forecast, 25.04.25
Bereits im Jahresverlauf 2024 schwächte sich Russlands Wachstum ab
Im Jahresdurchschnitt beschleunigte sich der Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion laut der zweiten Rosstat-Schätzung in Russland zwar von 4,1 Prozent im Jahr 2023 auf 4,3 Prozent im Jahr 2024. Dabei schwächte sich das jährliche BIP-Wachstum jedoch bereits im Jahresverlauf 2024 ab.
Die folgende Abbildung aus dem Wochenbericht des Forschungsinstituts BOFIT der finnischen Zentralbank zeigt, wie sich der jährliche Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts in Russland entwickelte, wenn man für das reale Bruttoinlandsprodukt einen gleitenden Durchschnitt für einen Zeitraum von jeweils 3 Monaten errechnet.
Erkennbar ist, dass die jährliche Wachstumsrate im 3-Monats-Durchschnitt nach der Rezession im Jahr 2022 Mitte 2023 auf rund 5 Prozent gestiegen ist. Seit dem Frühjahr 2024 sank sie jedoch deutlich. Nach einem vorübergehenden Anstieg am Jahresende 2024 hielt sie sich nur im Januar 2025 auf dem gestiegenen Niveau. Im Februar 2025 schwächte sich die Wachstumsrate wieder etwa auf das Niveau vom Herbst 2024 von rund 3 Prozent ab.

Quellen: CEIC/Russian Ministry of Economic Development, BOFIT. BOFIT-Weekly: Russian growth slows, increased risks from declining oil prices, 11.04.25
Der Wert für Februar 2025 zeigt die Veränderung des BIP in den Monaten Dezember 24 bis Februar 25 gegenüber Dezember 23 bis Februar 24 laut einer Schätzung von BOFIT auf der Basis der Mitte April vorliegenden Konjunkturdaten.
Präsident Putin zur „sanften Landung“ der russischen Konjunktur
Bei einer Videokonferenz mit Regierungsmitgliedern und Zentralbankpräsidentin Nabiullina meinte Staatspräsident Putin am 24. April laut Mitteilung des Präsidentenamtes unter anderem:
„Wie Sie wissen, sind sich Regierung, Zentralbank und Experten einig, dass das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr im Vergleich zu 2024 etwas geringer ausfallen wird. Tatsächlich haben wir dies bereits diskutiert, und genau das wollten wir erreichen. Wir sprachen über die sogenannte sanfte Landung, um die makroökonomischen Indikatoren zu stabilisieren und vor allem die Inflation zu überwinden.
Tatsächlich stieg das BIP in den ersten beiden Monaten des Jahres 2025 im Vergleich zum Vorjahr um 1,9 Prozent. Im verarbeitenden Gewerbe waren die Wachstumsraten mit einem Plus von 5 Prozent im Januar und Februar 2025 höher.
Die Inflation ist jedoch mit über 10 Prozent nach wie vor zu hoch.“
Bei einer Konferenz des Unternehmerverbandes hatte Putin Mitte März zur Abkühlung der russischen Konjunktur gemeint, dabei müsse sehr vorsichtig vorgegangen werden. Es sei aber klar, dass eine Abkühlung unvermeidbar sei. Es dürfe aber nicht zu einer übermäßigen Abkühlung kommen. Alles müsse in kleinen Schritten geschehen.
Zu den unterschiedlichen Wachstumsprognosen von Regierung und Zentralbank sagte Putin bei der Konferenz, es sei bekannt, die Zentralbank habe die eine Zahl, die Regierung und das Wirtschaftsministerium hätten eine andere Zahl. 2025 werde das Wirtschaftswachstum wohl 2 bis 2,5 Prozent erreichen (Monocle.ru). Mit dieser Prognosespanne hielt sich Putin genau zwischen dem oberen Rand der Prognosespanne der Zentralbank (1,0 bis 2,0 Prozent) und der Prognose des Wirtschaftsministeriums.
Zentralbank: Das BIP wächst im ersten Quartal 2025 moderater
Zentralbankpräsidentin Nabiullina meinte in ihrem Statement bei der Leitzinsentscheidung am 25. April zur aktuellen Konjunkturentwicklung, das BIP wachse jetzt „in moderaterem Tempo“. Zur Entwicklung von Konsum und Investitionen meinte sie:
„Nach einer gewissen Beschleunigung im Januar hat sich das Konsumwachstum verlangsamt. Aufgrund der bereits erwähnten zeitlichen Verzögerungen ist ein langsamerer Nachfrageanstieg im Segment der langlebigen Güter deutlicher spürbar, während er sich beispielsweise im Gastgewerbe und im Tourismus noch nicht so deutlich abzeichnet.
Die Investitionstätigkeit liegt nahe dem hohen Niveau des Vorjahres. Die überwiegende Mehrheit der an unserem Monitoring teilnehmenden Unternehmen plant, ihr Investitionsvolumen in diesem Jahr beizubehalten oder zu erhöhen. … Dennoch werden die Wachstumsraten der Investitionen voraussichtlich zurückgehen, was durch bestimmte Frühindikatoren wie den Absatz von Lastkraftwagen und Landmaschinen sowie die Auslastung der Verkehrsinfrastruktur bestätigt wird.“
Am Arbeitsmarkt gibt es erste Anzeichen für eine Entspannung
Nabiullina wies darauf hin, dass der Personalmangel das Wachstum der Investitionen bremse. Das Monitoring der Zentralbank zeige jedoch Anzeichen für eine Entspannung am Arbeitsmarkt:
„Erstes Anzeichen: Viele Unternehmen reduzieren ihre Nachfrage nach Arbeitskräften, was mit einer Verlagerung von Arbeitskräften in andere Unternehmen oder Branchen einhergeht. Die Arbeitslosigkeit bleibt jedoch auf Rekordtief.
Zweites Anzeichen: Die Unternehmen planen eine moderatere Lohnindexierung als in den beiden Vorjahren.“

