Georgien ist seit Jahren das Schwergewicht im Banken- und Investitionssektor des Südkaukasus. Doch das Nachbarland Armenien holt eindrucksvoll auf. Das zeigt der neue „South Caucasus Banking & Investment Review 2025“ der Beratungsfirma GlobalSource Partners. Aserbaidschan hingegen bleibt trotz seiner jüngsten Hochstufung auf Investment Grade hinter beiden Konkurrenten zurück – gebremst durch mangelnde Transparenz, geringe Diversifizierung und wenig Innovationskraft.
Der Bericht analysiert die Bankensektoren und das wirtschaftliche Umfeld der drei Staaten anhand von 17 Kriterien – von Regulierung, digitalem Bankwesen und Kapitalmarkttiefe bis zu grünen Finanzierungen, Humankapital und den Überweisungsströmen ihrer Diasporas. Autor Ivan Tchakarov betont gegenüber bne IntelliNews, dass diese breite Indikatorbasis ein vollständigeres Bild zeichne als die reduzierten Parameter klassischer Ratingagenturen.
Georgien führt den Index klar an: 87,8 von 100 Punkten, Spitzenwerte in 13 der 17 Kategorien – darunter Regulierung, digitale Banken, Kapitalmarktentwicklung, Rechtsschutz und Effizienz im Privatkundengeschäft. Armenien folgt mit 82,4 Punkten, ein Ergebnis seiner dynamischen Fintech-Branche, qualifizierten Arbeitskräfte, der Investitionskraft der Diaspora und sichtbarer Reformen. Aserbaidschan kommt lediglich auf 69,2 Punkte – trotz hoher fiskalischer Reserven und solider Haushaltslage.
Der Bericht wirft deshalb grundsätzliche Fragen zur Methodik globaler Ratingagenturen auf. Aserbaidschans Upgrade auf BBB− im Jahr 2024 spiegelt zwar solide Staatsfinanzen wider, blendet aber langfristige Risiken wie mangelnde Diversifizierung und Governance-Schwächen aus. Georgien hingegen wurde wegen politischer Instabilität und stockender EU-Annäherung abgewertet – ungeachtet der robusten Fundamentaldaten des Bankensektors. Armenien behielt dank glaubwürdiger Finanzpolitik, wachsenden Pufferreserven und Reformen im Bereich Geldwäscheprävention einen stabilen Ausblick.
Armeniens Aufholjagd
Obwohl Georgien nach wie vor klar führt, schließt Armenien zunehmend zu ihm auf. Tchakarov macht dafür vor allem die Reformagenda von Premierminister Nikol Paschinjan verantwortlich: Trotz heftiger innenpolitischer Auseinandersetzungen habe seine Regierung eine Reihe struktureller Veränderungen eingeleitet, die Armeniens Wirtschafts- und Finanzarchitektur nachhaltig prägen.
Besonders sichtbar ist der Boom im Fintech-Sektor. In Armenien existieren inzwischen über 200 Fintech-Start-ups – ein Vielfaches der georgischen. Die Branche profitiert von innovationsfreundlichen Regeln, kryptofreundlicher Gesetzgebung, einer starken IT-Community und Rückkehrkapital der Diaspora. Die Fintech-Erlöse sollen laut Bericht bereits über 1,6 Milliarden US-Dollar liegen.
Tchakarov verweist auf eine Mischung aus Faktoren: gut ausgebildete MINT-Fachkräfte, hohe Englischkompetenz, die massive armenische Diaspora, die jährlich Milliarden überweist, sowie die Ansiedlung russischer und ukrainischer IT-Spezialisten seit 2022.
Investoren, so Tchakarov, sollten künftig Strategien verfolgen, die „Georgiens etablierte Marktstärke mit Armeniens Wachstumsstory verbinden“ – vor allem in Bereichen wie Fintech, Innovation und der wirtschaftlichen Vernetzung nach dem Konflikt.
Georgien im politischen Gegenwind
Während Armenien aufsteigt, steckt Georgien in einer Phase politischer Turbulenzen. Die umstrittenen Parlamentswahlen 2024 und die Entscheidung, den EU-Beitrittsprozess auszusetzen, lösten ein Jahr lang Proteste aus. Doch ökonomisch, so Tchakarov, seien die Folgen geringer als erwartet: Die ausländischen Direktinvestitionen gingen deutlich zurück – wenig überraschend, da diese mehrheitlich aus der EU und Großbritannien stammen.
Der Tourismus dagegen boomte 2025 weiter: Nur 7–8 Prozent der Besucher kommen aus EU-Ländern oder den USA; der Großteil stammt aus Regionen, die von den politischen Spannungen unbeeindruckt bleiben. Für zusätzlichen Optimismus sorgt das gigantische Investitionsprojekt des emiratischen Entwicklers Eagle Hills, der bis zu 6,5 Milliarden US-Dollar in Tiflis und Batumi investieren will – ein Betrag, der die jährlichen Gesamtdirektinvestitionen des Landes weit übersteigt.
Bankensektor: einst Georgiens Paradebranche – jetzt auf dem Prüfstand
Im digitalen Bankwesen bleibt Georgien führend, doch Armenien verkleinert den Abstand deutlich. Beide Länder erfüllen die Basel-III-Standards und weisen solide Kapitalisierung auf: Georgiens Eigenkapitalquote lag 2024 bei 18,5 Prozent, Armeniens bei rund 20 Prozent, die Quote notleidender Kredite bei 1,7 bzw. 1,5 Prozent.
Georgiens Vorsprung erklärt Tchakarov mit dem Reformkurs der Saakaschwili-Ära: Frühzeitige Liberalisierung, starke Kapitalmärkte, zwei börsennotierte Banken in London. Doch Armenien holt auch hier auf – schneller, als viele erwartet hatten.
Ein Beispiel: Das armenische Bankensystem verzeichnete 2022 einen Nettozufluss von 2,5 Milliarden US-Dollar an Einlagen, größtenteils aus der Diaspora. 2023 erreichten Überweisungen denselben Wert – 10,7 Prozent des BIP. Armenien ist zudem Vorreiter bei der Einführung eines Registers wirtschaftlich Berechtigter.
Aserbaidschans Finanzsektor bleibt dagegen trotz gigantischer Staatsreserven – der Staatsfonds SOFAZ überschritt 2023 die Marke von 50 Milliarden US-Dollar – wenig diversifiziert und stark staatsdominiert.
Beim Thema Nachhaltigkeit steht die Region noch am Anfang: Georgien hat erste Nachhaltigkeitsrichtlinien für Banken eingeführt, Armenien eine nationale Green-Finance-Taxonomie entwickelt. Beide Länder erkennen, dass ESG-Standards zunehmend zum Standortfaktor werden.
Die Friedensdividende
Besonders weitreichend sind die Perspektiven, die sich aus dem im August 2025 in Washington vereinbarten Normalisierungsrahmen zwischen Armenien und Aserbaidschan ergeben könnten. Vorgesehen ist die Öffnung alter Verkehrs- und Handelsrouten, darunter der neue TRIPP-Korridor sowie die Reaktivierung sowjetischer Bahnlinien zwischen Jerewan, Nachitschewan und Baku. Die Türkei hat zugesagt, ihre Grenze zu Armenien wieder zu öffnen.
Noch ist dies Zukunftsmusik, doch Tchakarov sieht in dieser „Friedensdividende“ einen möglichen Investitionsschub: Sollte die geopolitische Entspannung anhalten, könnte Armenien bis 2030 in diesem regionalen Ranking sogar an erster Stelle stehen.
Insgesamt deutet vieles auf eine tektonische Verschiebung im Südkaukasus hin: Die Distanz zwischen Georgien und Armenien schrumpft. Georgien bleibt führend – dank institutioneller Stärke, ausgeprägter Kapitalmärkte und noch immer überlegener Strukturreformen. Doch Armenien hat eine Dynamik entwickelt, die das Machtgefüge der Region langfristig verändern könnte.
Dieser Artikel entstand in Kooperation mit unserem Partner bne intelliNews

