Zeitgleich zur Senkung des Leitzinses um 0,5 Prozentpunkte von 17% auf 16,5% hat die russische Zentralbank ihre Wachstumsprognose für die russisches Wirtschaft für das laufende Jahr noch einmal stark gesenkt. Die Zentralbank rechnet jetzt nicht mehr damit, dass Russland 2025 einen Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts zwischen 1% und 2% erreicht. Laut der neuen Prognose wird die Wirtschaft in diesem Jahr nur noch um 0,5% bis 1% wachsen.
Diese Entwicklung schätzt das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) wie folgt ein: „Der Hauptgrund für den Wachstumseinbruch ist die zu restriktive Geldpolitik der russischen Zentralbank. Sie hat zwar die Inflation deutlich gesenkt, aber gleichzeitig die Wirtschaft abgewürgt, weil damit Kredite unerschwinglich wurden.“
Ihre Prognosespanne für das Wachstum der russischen Wirtschaft im nächsten Jahr von 0,5% bis 1,5% behält die Zentralbank allerdings unverändert bei. Innerhalb dieser Spanne liegen zudem fast alle Prognosen internationaler Wirtschaftsorganisationen, Banken und Forschungsinstitute für 2026.
Zentralbank erhöht Leitzins-Prognose für 2026
In ihrem Basisszenario für 2026 hat die russische Zentralbank das durchschnittliche Leitzinsniveau von 12-13% auf 13-15% erhöht. Zentralbankchefin Elwira Nabiullina sieht die russische Wirtschaft weiterhin in einer „Phase der wirtschaftlichen Überhitzung“. Die starke Überhitzung des letzten Jahres lasse aber allmählich nach. Das Wachstum der Nachfrage schwäche sich bei einem gleichzeitigen Ausbau der Produktionskapazitäten der Unternehmen ab. Die Zentralbank schätzt, dass die Phase der Überhitzung im ersten Halbjahr 2026 enden wird.
Nach Meinung von Natalia Orlowa, der renommierten Chefanalystin der Alfa-Bank, dem größten privaten Finanzhaus in Russland, hat die Zentralbank mit ihrer Leitzinsentscheidungen und ihren Verlautbarungen vom Freitag „allzu optimistische Markterwartungen gedämpft“. Die Währungshüter setzten weiter auf Inflationsbekämpfung, so die renommierte Analystin. Alexander Isakow, Leiter für makroökonomische Studien bei der Sberbank, Russlands größtem Geldhaus, hält die Senkung des Leitzinses um einen halben Prozentpunkt für „eine ausgewogene Entscheidung, die das Gleichgewicht zwischen Wirtschaftswachstum und Preisstabilität halte“.
Widersprüchliche Inflationsrate
Die russische Zentralbank hält an ihrer strengen Geldpolitik zur Inflationssenkung fest und will künftige Entscheidungen auch weiterhin an Inflationsrate und Inflationserwartungen knüpfen. Die Leitzins-Senkung vom Freitag war die vierte in Folge. Bei den vergangenen drei Sitzungen hatten die Währungshüter den Satz seit Juni bereits von 21% um insgesamt vier Prozentpunkte auf 17% gesenkt.
Ihren Leitzins-Entscheid traf die Zentralbank angesichts einer widersprüchlichen Inflationsdynamik. Im September fiel der Anstieg der Verbraucherpreise in Russland mit 7,98% im Jahresvergleich geringer aus als im Vormonat (8,14%), wie aus Zahlen der Statistikbehörde Rosstat hervorgeht. Allerdings zogen die Preise im Oktober wieder deutlich an. Anfang vergangener Woche lag die jährliche Inflationsrate laut Zentralbank mit 8,2% leicht unter dem Vorjahreswert (8,4%), jedoch weit über dem Ziel von 4%.
In den vergangenen Monaten hat sich das Kreditwachstum laut Zentralbank beschleunigt, die Inflationserwartungen bleiben weiterhin hoch. Zum Ende dieses Jahres prognostiziert die Zentralbank eine Inflationsspanne zwischen 6,5% und 7%. Inflationstreiber seien Preissteigerungen bei Benzin, Obst und Gemüse gewesen, teilte der Währungshüter am Freitag im Anschluss an ihre Sitzung mit. Zur Jahreswende werde der Inflationsdruck im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuererhörung kurzfristig steigen, hieß es weiter. Für das nächste Jahr erwartet die Zentralbank eine Inflationsrate von 4% bis 5%.
Rubel weiterhin stark
Nach einer kurzen Schwächephase im September, als die russische Landeswährung zwischenzeitlich auf mehr als 85 Rubel zum Dollar abwertete, liegt der durchschnittliche Rubelkurs im Oktober bei 81,15 Rubel zum Dollar. Ein wesentlicher Grund für die anhaltende Rubelstärke ist Finanzexperten zufolge der hohe Leitzins. Dieser macht Spareinlagen in Rubel äußerst attraktiv und kühlt gleichzeitig die Verbraucher-, Investitions- und Importnachfrage ab. Begünstigt werde der starke Rubel zudem durch eine geringe Nachfrage nach Fremdwährung für den Kapitalabfluss und die Rückzahlung von Auslandsschulden, erklärt Sovkombank-Chefanalyst Michail Wassiljew.
Für November geht der Chefanalyst von einem Kurs zwischen 78-84 Rubel zum Dollar aus. Mit einem Wechselkurs von 100 Rubel oder mehr zum Dollar ist ihm zufolge erst in einem Jahr zu rechnen. Zur Rubelabwertung beitragen müssten dann die Erholung der Geschäftsaktivität und Importnachfrage, weniger Devisenverkäufe durch die Zentralbank sowie die erwarteten Leitzinssenkungen, so Wassiljew. Auch die Analysten der staatlichen Sberbank rechnen bis Ende 2025 mit einer starken russischen Landeswährung: 83 Rubel zum Dollar. Ende nächsten Jahres dürfte sich die Währung auch nach Meinung der Sberbank-Analysten auf 100 Rubel pro Dollar abschwächen.
Laut Zentralbankchefin Elwira Nabiullina könnte sich die Verlangsamung des globalen Wirtschaftswachstums gepaart mit sinkenden Ölpreisen infolge von wachsenden Spannungen im Welthandel inflationär auf den Rubelkurs auswirken. Die geopolitische Lage bleibe ein Risikofaktor, so Nabiullina. Laut dem russischen Ökonomen Jewgeni Kogan werden die jüngsten US-Sanktionen gegen die russischen Ölgiganten Rosneft und Lukoil die Exporteinnahmen Russlands schmälern. Das Minus bei den Deviseneinnahmen könnte zur einer Rubelabwertung führen und den Inflationsdruck erhöhen, vermutet der Experte. Die Chef-Analytikerin der Moskauer Investmentgesellschaft Perwaja Natalia Waschtscheljuk rechnet bis Ende dieses Jahres mit einem Wechselkurs von 90 Rubel zum Dollar und 100 Rubel zum Dollar Ende kommenden Jahres.
Quellen: Russ. Zentralbank, Rossijskaja Gaseta 1, 2, Izvestia, RBC, Myfin, Finam, Vedomosti (alle RU)
Dieser Beitrag erschien zuerst im exklusiven Newsletter „Morgentelegramm“ der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer

