Die Umsätze der russischen Softwareindustrie sind in den vergangenen Jahren rasant gewachsen. Nach dem Rückzug von Microsoft, SAP und Co. waren die russischen Unternehmen auf inländische Produkte angewiesen. Doch der Umstieg von ausländischen Programmen verläuft langsamer als von der Politik erhofft, trotz zunehmender gesetzlicher Zwänge.
Softwareindustrie als Kernbereich des IT-Markts
Der Markt für Informationstechnologien (IT) gilt als einer der am schnellsten wachsenden Bereiche der russischen Wirtschaft. Schätzungen seines Volumens im vergangenen Jahr bewegen sich meist zwischen rund 3 und 4 Bio. Rubel, umgerechnet 32 bis 43 Mrd. Euro.
Die Softwareindustrie ist einer der Hauptbereiche des IT-Markts. Wie groß ihr Anteil ist, hängt von der Abgrenzung der IT-Segmente ab, die von den einzelnen Marktanalysten unterschiedlich gehandhabt wird. Der russische Marktforscher Euler etwa schätzt das Volumen des gesamten IT-Markts für 2024 auf 3,5 Bio. Rubel (37,4 Mrd. Euro), die Prognose für 2025 lag mit Stand von Oktober bei 3,85 Bio. Rubel (41,1 Mrd. Euro). Davon entfielen im vergangenen Jahr 51,4% auf den Teilbereich Software und IT-Dienste, der die Softwarebranche weitgehend abdeckt. Laut der Prognose für das laufende Jahr steigt der Anteil leicht auf 52%, wobei das Marktvolumen im Bereich Software und IT-Dienste 2 Bio. Rubel (21,3 Mrd. Euro) erreichen soll.
Die größten Softwareunternehmen
Das nach Umsatz größte russische Softwareunternehmen dürfte der Entwickler von Unternehmenssoftware 1C sein. Wie einige andere Anbieter auch veröffentlicht das Unternehmen seit 2022 keine Geschäftszahlen, bemerkt das IT-Portal CNews. Bis 2021 waren seine Erlöse nach langen Jahren des stetigen Wachstums auf rund 68 Mrd. Rubel gestiegen, was damals 923 Mio. Euro entsprach. Trotz des Rückzugs seines größten Konkurrenten, des deutschen Softwaregiganten SAP, vom russischen Markt fielen die Erlöse 2022 um knapp 8%, was den ersten Rückgang in der Geschichte des Unternehmens bedeutete, wie aus einer Präsentation des Unternehmens hervorging.
Der zweite große russische Branchenvertreter ist der Entwickler von Sicherheitssoftware Kaspersky. Das weltbekannte Unternehmen veröffentlicht weiterhin seine Geschäftszahlen. Wegen der Spannungen mit dem Westen verlor es zahlreiche internationale Kunden, in den USA wurden seine Produkte 2024 sogar ganz verboten. Die Umsätze von Kaspersky beliefen sich 2021 und 2022 auf je 752 Mio. Dollar. 2023 fielen sie auf 721 Mio. Dollar und stiegen 2024 auf den Rekordwert von 822 Mio. Dollar.
Die Umsätze der übrigen russischen Softwareunternehmen sind um mehrere Größenordnungen kleiner. So erlöste das Unternehmen R7, von dem das gleichnamige Office-Softwarepaket stammt, im vergangenen Jahr 3,2 Mrd. Rubel (35,4 Mio. Euro). Der größte Konkurrent New Cloud Technologies, der das Office-Paket MyOffice entwickelt, brachte es auf 2,24 Mrd. Rubel (24,1 Mio. Euro). Die Bürosoftware ist einer der Bereiche, in denen sich russische Angebote bisher am stärksten durchsetzen konnten. Das russische Beratungsunternehmen J’son & Partners schätzt sein Marktvolumen im vergangenen Jahr auf 58,5 Mrd. Rubel (630 Mio. Euro).
IT-Markt: Russische Aufholjagd auf niedrigem Niveau
Eine Untersuchung zu den einzelnen Segmenten des russischen IT-Markts hat Ende 2024 der führende russische Mobilfunkanbieter MTS vorgelegt. Die Analysten werteten dafür die Umsätze der tausend größten russischen IT-Unternehmen aus. Ihrer Schätzung zufolge ist der IT-Markt im vergangenen Jahr um mehr als 22% auf fast 3,3 Bio. Rubel (35 Mrd. Euro) gewachsen.

Im globalen Vergleich wächst der russische Markt schneller als der Rest der Welt, jedoch auf noch niedrigem Niveau. Der Anteil des IT-Sektors am russischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg seit 2022 von 1,33% auf 1,83%. Auf dem Weltmarkt stieg der Anteil von 2,37% im Jahr 2022 auf 2,62% im vergangenen Jahr.
Zum Vergleich: Der deutsche IT-Markt hatte im vergangenen Jahr ein Volumen von 161 Mrd. Euro, berichtet der Branchenverband Bitkom. Der Bereich Software hatte ein Marktvolumen von 48 Mrd. Euro und die IT-Services von 51 Mrd. Euro. Der Rest entfiel auf IT-Hardware.
Softwarebranche wächst am schnellsten
Die MTS-Analyse untersucht den russischen IT-Markt anhand von drei großen Bereichen. Einer davon ist die Software, worunter hauptsächlich fertige Anwendungsprogramme, Cloud-Dienste oder Betriebssysteme fallen. Die anderen beiden Komponenten des IT-Markts sind die Hardware und die IT-Dienstleistungen, unter die auch die Auftragsentwicklung von Software fällt.
Seit 2019 ist die Software mit durchschnittlich 27% pro Jahr fast doppelt so schnell gewachsen wie die beiden anderen Bereiche, schätzt MTS. Für 2024 prognostizierten die Analysten einen Anteil der Software am russischen IT-Markt von 44%, während sie den Anteil auf dem globalen IT-Markt auf 39% schätzten.
Verkäufe von Standardsoftware steigen
Eine detaillierte Studie zum russischen Softwaremarkt hat im August 2025 das Beratungsunternehmen B1, das ehemalige EY in Russland, vorgelegt. Die Analyse beruht auf den Geschäftszahlen von mehr als 2500 Softwareentwicklern und 300 IT-Dienstleistern. Sie fasst den IT-Markt aber etwas enger als die oben genannten Analysten, weil etwa staatliche Beschaffungen nicht vollständig berücksichtigt werden. So kommt B1 auf ein IT-Markt-Volumen für 2024 von 2,8 Bio. Rubel (30 Mrd. Euro). Seit 2022 ist der Markt im Schnitt um 22% pro Jahr gewachsen.

Als einen eigenständigen Bereich des IT-Markts analysiert B1 auch die Verkäufe von Standardsoftware, also von „fertiger“ Software von der Stange. Sie sind von 287 Mrd. Rubel im Jahr 2022 auf 448 Mrd. Rubel im vergangenen Jahr gewachsen. Nach aktuellem Rubelkurs entspricht das einem Anstieg von 3,1 auf 4,8 Mrd. Euro, nach dem jeweiligen durchschnittlichen Jahreskurs gerechnet legte der Markt nur leicht von 4 auf 4,5 Mrd. Euro zu.
Wie MTS betrachtet auch B1 den Bereich der IT-Dienstleistungen gesondert. Zu ihnen gehören neben der Beratung und der Implementierung von Software auch die individuelle Auftragsentwicklung. Dieses Marktsegment ist seit 2022 von 464 Mrd. Rubel auf 638 Mrd. Rubel im vergangenen Jahr gewachsen, also von 5 Mrd. auf 6,8 Mrd. Euro. Nach damaligen Kursen gerechnet bedeutet dies einen Stillstand bei jeweils rund 6,4 Mrd. Euro.

Den russischen Anteil am Weltmarkt beziffert B1 sowohl bei der Standardsoftware als auch bei den IT-Dienstleistungen auf 0,7%. Deutschland bringt es auf 4% bzw. 5%, die USA dominieren den Weltmarkt mit 52% bei den Anwendungen und 37% bei den Diensten.
In-House-Entwicklung gewinnt an Bedeutung
Ein eigenes Marktsegment bilden in der B1-Studie die IT-Dienste und Softwareentwicklung in den Unternehmen selbst, sofern diese nicht für andere Unternehmen oder Kunden umgesetzt werden. Diese In-House-Softwareentwicklung ist laut B1 seit 2022 unter allen Bereichen des IT-Markts am stärksten gewachsen. Ihr Anteil am Gesamtmarkt erhöhte sich von 16% auf 20% im vergangenen Jahr. Die Standardsoftware hatte einen Anteil von 16% und die IT-Dienstleistungen von 23%.
Ausländische Software auf dem Rückzug
Ein einschneidendes Ereignis für die russische Softwarebranche war der Rückzug der ausländischen Anbieter nach 2022. Standardprogramme von Microsoft und Adobe oder Unternehmenssoftware von Oracle und SAP verloren damit den offiziellen Support und die Nutzungslizenzen konnten nicht mehr auf legalem Weg verlängert werden. Als Folge davon brachen die Anschaffungen ausländischer Software durch russische Unternehmen ein, wie eine Studie des regierungsnahen Wirtschafts-Thinktanks ZMAKP von Ende Oktober 2025 verdeutlicht.
Die Analysten untersuchten anhand von Daten der Statistikbehörde Rosstat die Ausgaben der russischen Unternehmen für Software. Absolute Zahlen führt die Studie nicht an. Demnach ist der Anteil der ausländischen Software an den Käufen von 34% im Jahr 2022 auf 18% im Jahr 2023 und auf 13% im vergangenen Jahr eingebrochen. Von 2019 bis 2021 hatte er bei rund 45% gelegen. Zugleich stieg der Anteil der russischen Software von 25% im Jahr 2021 auf 37% im Jahr 2023. Im vergangenen Jahr sank er wieder leicht auf 35%. Weit stärker legten hingegen die Ausgaben der Unternehmen für maßgeschneiderte Software zu, und zwar von 24% im Jahr 2021 auf fast das Doppelte (46%) im vergangenen Jahr.
Trend zur Auftragsentwicklung
Der seit 2024 sichtbare Trend weg von fertigen Produkten und hin zur Softwareentwicklung zeigt sich weit stärker bei den Ausgaben der IT-Unternehmen. Sie haben laut ZMAKP bereits ein Jahr früher als der Rest der Wirtschaft mit dem Umstieg auf russische Software begonnen. So lag der Importanteil an ihren Softwareausgaben im Jahr 2020 bei 65% und ging im darauffolgenden Jahr auf 42% zurück. 2024 fiel der Anteil auf 9%. Bei den Ausgaben für fertige russische Software ist zunächst ein starker Anstieg von 20% im Jahr 2020 auf 42% im Jahr 2023 zu beobachten. Doch 2024 brach er dann auf nur noch 11% ein. Gleichzeitig explodierte der Anteil der Entwicklungsausgaben binnen eines Jahres von 26% auf 76% im vergangenen Jahr.

ZMAKP sieht in den steigenden Entwicklungsausgaben eine neue Etappe der Importsubstitution von Software (mehr dazu weiter unten). Einerseits sei das Marktpotenzial der fertigen russischen Software ausgeschöpft, weswegen es in der Gesamtwirtschaft 2024 zu einer „Stabilisierung“ der Ausgaben für russische Software gekommen sei, so ZMAKP. Dass die IT-Unternehmen weitgehend auf russische Standardsoftware verzichten, deuten die Analysten als eine „Vertiefung“ der Importsubstitution, wofür komplexere Software entwickelt werden müsse. Für die IT-Unternehmen steigen dadurch aber auch die Kosten drastisch. Laut ZMAKP haben sich ihre Softwareausgaben im vergangenen Jahr auf insgesamt 213 Mrd. Rubel (2,3 Mrd. Euro) mehr als verdoppelt. 2021 lagen sie noch bei 51 Mrd. Rubel (540 Mio. Euro).
Softwareexporte verlieren an Bedeutung
Die Marktdaten des größten russischen Softwareverbands Russoft bieten eine Perspektive auf den Softwaremarkt aus Sicht der Produzenten. Ihre Verkäufe sind im vergangenen Jahr um 24% auf 2,46 Bio. Rubel (26,3 Mrd. Euro) gewachsen, so Russoft. Diese Zahl umfasst die Verkäufe im In- und Ausland und berücksichtigt nicht nur Standardsoftware, sondern alle Produkte und Dienstleistungen der Branche. Etwas mehr als ein Fünftel (21,4%) entfiel auf Verkäufe im Ausland. Seit 2022 hat sich der Exportanteil mehr als halbiert, nachdem er von 2019 bis 2021 bei knapp 48% gelegen hatte. Für das Wachstum der Softwareindustrie sorgten somit allein die Inlandsverkäufe. Sie stiegen im Jahr 2022 um 37% und 2023 um 35%.
Höhepunkt des Wachstums überschritten
Seitdem hat sich das Wachstum jedoch verlangsamt. Für 2024 hatte Russoft auf Grundlage von Umfragen unter seinen Mitgliedern ursprünglich ein Wachstum der Inlandsverkäufe um 38% vorausgesagt. Wie der Verband hervorhebt, blieb es mit 28% auf 1,93 Bio. Rubel (20,6 Mrd. Euro) deutlich unter Erwartung. Für die gesamten Softwareverkäufe im laufenden und in den nächsten Jahren erwartet Russoft eine Abschwächung des Wachstums von 24% im Jahr 2024 auf nur noch 10–15% pro Jahr.
Dass die Softwareverkäufe nicht mehr so schnell wachsen, zeugt von den Grenzen der Importsubstitution. Ihr Höhepunkt ist bereits überschritten, bestätigten mehrere Branchenvertreter Ende August gegenüber der Wirtschaftszeitung Kommersant. So erklärt der Systemintegrator Korus Consulting das langsamere Wachstum mit dem Übergang des Markts von einer Phase der „forcierten Importsubstitution“ zu einer „planmäßigen digitalen Transformation“. Die nun benötigte Software sei komplexer und könne nicht mehr so schnell implementiert werden, meint die Geschäftsführerin Irina Nasarenko.
Importsubstitution: Zuckerbrot und Peitsche
Russland betreibt seine Politik der Importsubstitution seit 2014 in vielen Bereichen der Wirtschaft. In der IT- und besonders der Softwarebranche verfolgt die Regierung diesen Kurs besonders entschlossen. Die erste Phase mündete in ein Verbot für Behörden und Kommunen, ausländische Software zu beschaffen, falls russische Alternativen vorhanden sind. In der Pandemie führte die Regierung Quoten zur Beschaffung russischer Software in den Behörden ein, um die heimischen Entwickler zu unterstützen. Weil der Umstieg aber weiterhin nur schleppend verlief, führte sie ein Jahr später Strafen für ein Verfehlen der Quoten ein.

Die aktuelle Phase des forcierten Umstiegs auf russische Software begann 2022 mit dem Rückzug der westlichen Anbieter. Die Regierung förderte den Umstieg auf russische Software u. a. durch eine Befreiung von der Umsatzsteuer. Einen Umstiegszwang gibt es neben den Behörden vor allem für die Betreiber von kritischer Informationsinfrastruktur (KII), zu denen die Telekomunternehmen, Banken, der Rohstoff- und Energiesektor und die Logistik, also große Teile der russischen Wirtschaft, gehören. Sie waren eigentlich verpflichtet, ab dem 1. Januar 2025 besonders wichtige KII nur noch mit russischer Software zu betreiben.
Als russisch gelten Programme, die in das vom Digitalministerium geführte Einheitliche Register russischer Software aufgenommen werden. Anfang November enthielt das Register rund 28.500 Anwendungen. Zur Aufnahme müssen die Entwickler bestimmte Bedingungen erfüllen, zu denen insbesondere die Entwicklung in Russland und die Unabhängigkeit von ausländischen Lizenzen gehören.
Unternehmen zögern bei Software-Umstieg
Die Frist bis Anfang 2025 erwies sich als nicht haltbar. Laut einer Studie des russischen IT-Unternehmens K2Tech und des Beratungsunternehmens TeDo, einst PwC in Russland, überwog mit Stand von Herbst 2024 selbst in den Staatsunternehmen der Einsatz ausländischer Software. Eine Umfrage unter ihnen ergab, dass 57% der Infrastruktursoftware ausländischen Ursprungs waren. Zu ihr gehören neben Betriebssystemen zum Beispiel auch Datenbank-, Speicher- und Netzwerksoftware. In der gesamten russischen Wirtschaft belief sich der Anteil der ausländischen Software sogar auf 75%.
Allerdings gilt die Umstiegspflicht nicht für alle KII-Objekte, sondern nur für die „bedeutenden“. Im März 2025 schätzte das Digitalministerium, dass „mehr als zwei Drittel der Objekte“ bereits auf russische Software umgestiegen sind. Seit diesem Herbst verpflichtet ein neues Gesetz die betroffenen Unternehmen dazu, ihre bedeutende KII mit russischer Software zu betreiben. Als Frist für den Umstieg hat die Regierung nun Anfang 2028 festgelegt. Es ist aber auch die Möglichkeit der Fristverlängerung bis Ende 2030 vorgesehen, falls ein Umstieg aus „objektiven Gründen“ nicht möglich sein sollte.
Die private Wirtschaft ist von der gesetzlichen Pflicht bisher ausgenommen. Über kurz oder lang wird jedoch auch sie auf russische Software umsteigen müssen, mahnte diesen Sommer Digitalminister Maksut Schadajew. Der stellvertretende Vorsitzende des Duma-Komitees für IT, Anton Gorelkin, sagte Ende Oktober, dass die Regierung bereits eine Umstiegspflicht auch für private Unternehmen diskutiere.
Dieser Beitrag erschien zuerst im exklusiven Newsletter „Morgentelegramm“ der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer

