„Türk it Easy“ – Die Türkei Kolumne
Autor: Jonas Prien

Am Müggelsee in Berlin ist es ruhig an diesem Frühlingstag. Nur wenige Spaziergänger verlieren sich auf der Uferpromenade, während Ramon Schack, Journalist, langjähriger Beobachter internationaler Politik und bekennender Friedrichshagener, über ein Land spricht, das tausende Kilometer entfernt liegt und doch in fast jedem weltpolitischen Konflikt seine Spuren hinterlässt: die Türkei.
„Die Türkei ist sich ihrer geopolitischen Macht inzwischen sehr bewusst“, sagt Schack. „Sie ist keine Bittstellerin mehr an der Tür Europas, sondern Akteurin auf mehreren Spielfeldern.“
Vom Brückenstaat zur Schaltzentrale
Die Türkei versteht sich heute nicht mehr nur als Brücke zwischen Ost und West, sondern zunehmend als eigene Achse. Zwischen Mittelmeer und Kaspischem Meer, zwischen Russland und der arabischen Welt hat Ankara seine Einflusssphären ausgedehnt. Einst als potenzieller EU-Beitrittskandidat gefeiert, hat sich das Land unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan Schritt für Schritt von Brüssel entfernt. Der Traum vom EU-Beitritt (1987 offiziell beantragt) ist heute kaum mehr als eine Fußnote der Geschichte.
Was seither gilt, ist die strategische Lage: Wer Istanbul beherrscht, beherrscht den Zugang zu den Meeren und die Verbindung zwischen Orient und Okzident. Diese geographische Wahrheit, seit Byzanz und Konstantinopel unverändert, erklärt vieles vom außenpolitischen Selbstverständnis der Türkei.
Einflusszonen im Osten
Während Europa stagniert, hat Ankara längst neue Horizonte entdeckt. In Zentralasien, wo Turkvölker wie Kasachen, Usbeken und Kirgisen leben, baut die Türkei wirtschaftliche und kulturelle Brücken. Türkische Bildungsprogramme fördern Studierende aus der Region. Universitäten in Ankara und Istanbul bieten Stipendien nicht uneigennützig. „Diese Absolventen sind die künftigen Brückenbauer zwischen Ankara und den neuen Wachstumszentren Asiens“, erklärt Schack.
Auch wirtschaftlich investiert die Türkei in die Region: Bauprojekte, Energiepartnerschaften und neue Transportkorridore entlang der alten Seidenstraße vernetzen den türkischen Markt mit China und Russland. „Der Osten“, sagt Schack, „ist das neue Licht, das aufgeht. Europa wirkt daneben matt.“
Alte Träume, neue Allianzen
Im Nahen Osten und Nordafrika agiert Ankara mit einer Mischung aus Pragmatismus und Machtbewusstsein. In Syrien, Libyen und im östlichen Mittelmeer spielt die Türkei eine zunehmend autonome Rolle, oft in Konkurrenz zu westlichen Interessen. Während der Westen in Libyen uneins agierte, stützte Ankara dort eine Seite im Bürgerkrieg und sicherte sich zugleich wirtschaftliche Zugänge zu Energiequellen. In Syrien unterhält die Türkei eigene Sicherheitszonen, um kurdische Milizen fernzuhalten, ein Punkt, der Ankara regelmäßig in Konflikt mit Washington bringt.
Auch auf der arabischen Halbinsel hat die Türkei ihren Platz gefunden: enge Beziehungen zu Katar, neue Wirtschaftskooperationen mit den Emiraten, vorsichtige Annäherungen an Ägypten. Nur mit Saudi-Arabien bleibt das Verhältnis kühl.
Afrika im Blick
Weniger beachtet, aber strategisch nicht minder wichtig, ist das türkische Engagement in Afrika. Über das Programm „Türkiye Scholarships“ studieren jedes Jahr Tausende Afrikaner in Ankara und Istanbul. Wer zurückkehrt, spricht Türkisch, kennt die Wirtschaft des Landes – und bleibt politisch verbunden. „Das ist Soft Power in Reinform“, sagt Schack. „Die Türkei investiert in Köpfe und schafft sich so langfristige Partner.“
Tatsächlich wächst der türkische Einfluss südlich der Sahara. Während Frankreich aus Mali und Niger verdrängt wird, eröffnen türkische Unternehmen dort Fabriken, Kliniken und Schulen. Ankara nutzt das geopolitische Vakuum, das andere hinterlassen.
Zwischen NATO und Eigenständigkeit
Die NATO-Mitgliedschaft bleibt ein Anker, aber auch eine Fessel. Die Türkei profitiert von der militärischen Infrastruktur des Bündnisses, nutzt die Nähe zu Washington, doch sie spielt zunehmend ihr eigenes Spiel. „Ich bin nicht sicher, ob die Türkei in zwanzig Jahren noch NATO-Mitglied sein wird“, meint Schack.
Schon jetzt hält Ankara Kontakt zu Moskau, vermittelt im Ukraine-Krieg, liefert gleichzeitig Drohnen an Kiew und blockiert NATO-Beschlüsse, wenn es den eigenen Interessen dient. In Brüssel nennt man das „kompliziert“. In Ankara nennt man es „Souveränität“.
Ein Land zwischen zwei Zivilisationen
Die Identität der Türkei bleibt zwischen säkularer Moderne und religiösem Erbe, zwischen Europa und Asien gespalten. Atatürk sprach einst von einem Pferd mit den Vorderläufen in Europa und den Hinterläufen in Asien. Dieses Bild beschreibt das Land bis heute. In Istanbul, einer Metropole mit über 15 Millionen Einwohnern, begegnen sich beide Welten auf engstem Raum: westliche Popkultur trifft auf osmanische Tradition, Moscheen auf Wolkenkratzer, Touristen auf Händler aus dem Kaukasus und Zentralasien.
Vermittlerin zwischen den Fronten
Im Ukraine-Konflikt versucht Ankara, zwischen Moskau und Kiew zu vermitteln. Zwar ist der Erfolg überschaubar, aber es hat symbolisches Gewicht. Die Türkei ist die einzige Macht im NATO-Raum, die noch mit beiden Seiten spricht. In der Schwarzmeerregion bleibt Ankara ein unverzichtbarer Akteur.„Die Türkei fällt drei Bahnen gleichzeitig“, sagt Ramon Schack. „Sie ist in Europa, in Asien und in der islamischen Welt zu Hause. Das ist ihre Stärke, aber auch eine Zerreißprobe.“ Zunehmend wird auch international deutlich, was die Türkei ist: ein Land mit Ambitionen, das sich ihrer geopolitischen Chancen bewusst wird.

