Autor: Klaus Dormann
Im vergangenen Jahr wuchs die russische Wirtschaft laut einer neuen Schätzung des Statistikamtes Rosstat um 4,3 Prozent (Finmarket.ru). 2023 war die gesamtwirtschaftliche Produktion in Russland bereits um 4,1 Prozent gestiegen. Wird es jetzt 3 Jahre dauern bis sie um weitere 4 Prozent gewachsen ist?
Eine so starke Verlangsamung des Wachstums der russischen Wirtschaft erwartet BOFIT, das „Institute for Emerging Economies“ der finnischen Zentralbank. Die Prognose des Instituts: 2025 wird sich Russlands Wirtschaftswachstum auf rund 2 Prozent halbieren und in den Jahren 2026 und 2027 wird es jeweils nur noch rund 1 Prozent erreichen.

Die Wachstumsprognosen des finnischen Instituts für 2025 und 2026 decken sich mit den Erwartungen der fünf führenden deutschen Konjunkturforschungsinstitute. In ihrer am 10. April veröffentlichten „Gemeinschaftsdiagnose“ im Auftrag der Bundesregierung gehen auch sie davon aus, dass sich Russlands Wirtschaftswachstum 2025 auf 2,0 Prozent halbiert und 2026 nur noch 1,0 Prozent erreicht. Eine Prognose für das Jahr 2027, in dem BOFIT eine Stagnation der Wachstumsrate bei 1,0 Prozent erwartet, erstellten die deutschen Institute noch nicht.
Im Durchschnitt wird ein Rückgang des Wachstums auf 1,5 Prozent erwartet
Mit einer Abschwächung des Wachstums der russischen Wirtschaft auf nur noch rund 1 Prozent im Jahr 2026 rechnet die große Mehrheit der russischen und auch der ausländischen Analysten allerdings nicht. Laut Umfragen dürfte Russlands Wirtschaftswachstum in den Jahren 2025 und 2026 eher bei rund 1,5 Prozent stagnieren.
So erwarteten bei einer Anfang-April durchgeführten Umfrage der Nachrichtenagentur Interfax die Analysten im Durchschnitt, dass die russische Wirtschaft 2025 um 1,6 Prozent und 2026 um 1,7 Prozent wächst.
Auch die Anfang März durchgeführte Analysten-Umfrage der russischen Zentralbank ergab, dass das Wirtschaftswachstum in Russland 2026 nicht weiter sinken dürfte. Laut der Zentralbank-Umfrage wird das BIP-Wachstum im nächsten Jahr voraussichtlich geringfügig von 1,7 auf 1,8 Prozent anziehen.

FocusEconomics Consensus: Das Wachstum bleibt bis 2029 unter 2 Prozent
Im Gegensatz zu den Analysten in den Umfragen der Zentralbank und der Nachrichtenagentur Interfax halten westliche Analysten im Jahr 2026 wie BOFIT oft eine weitere Abschwächung des Wachstums für wahrscheinlich. Sie dürfte sich aber in sehr engen Grenzen halten.
Das zeigen die vom in Barcelona ansässigen Research-Unternehmen FocusEconomics erfassten Prognosen von 34 Analysten (darunter nur wenige russische). Im „Consensus“ erwarten die Analysten im Durchschnitt, dass Russlands Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent im Jahr 2025 nur wenig auf 1,4 Prozent im Jahr 2026 sinken dürfte.
FocusEconomics hat Prognosen bis 2029 erfragt. Wie die folgende Abbildung aus einer Studie von FocusEconomics zu den wirtschaftlichen Aspekten der Gespräche über einen Waffenstillstand in der Ukraine zeigt, dürfte sich Russlands Wirtschaftswachstum bis 2029 laut dem „Consensus“ kaum beleben und unter 2 Prozent bleiben (blaue Linie).

Hohe Ungewissheit: Die Prognosen klaffen weit auseinander
Die Unsicherheit über die weitere Produktionsentwicklung der russischen Wirtschaft zeigt sich in der großen Spanne zwischen den niedrigsten und den höchsten von FocusEconomics erfassten Prognosen. Besonders weit klaffen die Prognosen für 2026 auseinander. Die Spanne der Prognosen für die Produktionsentwicklung im nächsten Jahr reicht von einer leichten Rezession (rote Linie in der obigen Abbildung) bis zu einem Wachstum von knapp 3 Prozent (grüne Linie).
Einige Beobachter der russischen Wirtschaft rechnen mit einem Abgleiten der russischen Wirtschaft in eine Rezession. So hat das Münchner ifo Institut in seiner Mitte März veröffentlichten „Frühjahrsprognose“ für 2026 einen Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts der russischen Wirtschaft um 0,8 Prozent prognostiziert.
Professor Igor Lipsits, aus Russland ausgewanderter Mitgründer der Moskauer „Higher School of Economics“, ortet Russlands Wirtschaft in einem Interview mit „NV – The New Voice of Ukraine“ sogar schon jetzt „am Rande des Zusammenbruchs“. BOFIT betont hingegen, eine „full-blown economic crisis“, eine „ausgewachsene Wirtschaftskrise“, sei in Russland nicht in Sicht (weitere Hinweise zu den Prognosen von BOFIT und Lipsits am Schluss dieses Artikels).
Besonders zuversichtlich sieht das Konjunkturforschungsinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften die gesamtwirtschaftliche Entwicklung Russlands. Das „Institute for Economic Forecasts“ der RAS erwartet zwar ähnlich wie BOFIT, dass sich der Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion im Jahr 2025 etwa halbiert und nur noch 1,8 Prozent erreicht. Das IEF der RAS rechnet aber nicht mit einer lang anhaltenden Wachstumsschwäche. Anders als BOFIT erwartet es, dass sich das BIP-Wachstum schon 2026 wieder auf 2,4 Prozent beschleunigt.
Gemeinschaftsdiagnose: Der Krieg lieferte der Wirtschaft Nachfrageimpulse
Die deutschen Konjunkturforschungsinstitute stellen in ihrer „Gemeinschaftsdiagnose“ im Rückblick auf das bisherige hohe Wachstum der russischen Wirtschaft fest, dass sich die „militärischen Aktivitäten“ Russlands in einem starken Anstieg des Staatskonsums niederschlugen und die Investitionen in der Rüstungsindustrie zunahmen. Der sanktionsbedingte Einbruch der russischen Einfuhren aus Europa habe nicht nur zu höheren Einfuhren aus China geführt, sondern auch zu einer Steigerung der inländischen Produktion.
Aber auch der private Konsum habe in Russland zugelegt, merken die deutschen Institute an. Dies sei zum einen durch Transferzahlungen an private Haushalte ermöglicht worden. Zum anderen habe die Einwanderung nach Russland stark nachgelassen, so dass Arbeitskräfte knapp seien und die Löhne insbesondere in kriegswichtigen Bereichen stark gestiegen seien. Weil die Kapazitäten voll ausgelastet sein dürften, wird sich nach Einschätzung der Institute das gesamtwirtschaftliche Wachstumstempo deutlich verlangsamen. Sie rechnen mit Zuwächsen von 2,0 Prozent im Jahr 2025 und 1,0 Prozent im Jahr 2026.
Ministerium: Im Februar sank die jährliche Wachstumsrate des BIP auf 0,8 Prozent
Am 02. April veröffentlichte das russische Wirtschaftsministerium wichtige Konjunkturdaten für Februar. Das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts sank laut dem Ministerium im Februar im Vergleich zum Vorjahresmonat auf 0,8 Prozent. Im Januar hatte die jährliche Wachstumsrate noch 3,0 Prozent erreicht. Der Pressedienst des Ministeriums wies dazu allerdings darauf hin, dass es im Februar 2025 einen Arbeitstag weniger als im Februar des Schaltjahres 2024 gab. Würde man diesen Faktor herausrechnen, wäre das Wirtschaftswachstum im Februar laut dem Ministerium „vergleichbar mit dem im Januar“ (Finmarket.ru).
Vergleicht man die gesamtwirtschaftliche Produktion in den ersten beiden Monaten des Jahres 2025 mit der Produktion im Januar/Februar 2024 wuchs das BIP nach Angaben des Ministeriums um 1,9 Prozent (Monocle.ru).
Der Vergleich Januar/Februar 2025 gegenüber Januar/Februar 2024 zeigt außerdem:
Die Industrieproduktion stieg um 1,2 %, die Bauproduktion um 9,8 % und die landwirtschaftliche Produktion um 1,7 %.
Der Güterverkehr sank um 0,7 %, der reale Großhandelsumsatz sank um 2,0 %.
Der reale Einzelhandelsumsatz stieg um 3,8 %.
VEB-Institut: Bereinigt war das BIP im Februar kaum höher als im Januar
Erste Berechnungen des Forschungsinstituts der staatlichen „Wneschekonombank“ („Bank für Außenwirtschaft“) zur aktuellen Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Produktion im Februar weichen von den Angaben des Ministeriums etwas ab. Laut dem am 11. April veröffentlichten BIP-Index des VEB-Instituts verlangsamte sich das reale Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im Februar 2025 im Vergleich zum Vorjahresmonat auf 0,5 Prozent. Im Januar sei das BIP noch 3,4 Prozent höher als ein Jahr zuvor gewesen.
Saison- und kalenderbereinigt war das BIP laut dem VEB-Institut im Februar 2025 um 0,1 Prozent höher als im Januar 2025, nachdem es im Januar gegenüber Dezember um 0,7 Prozent gesunken ist (siehe auch Bericht von RBC.ru mit Beiträgen russischer Experten zur Frage, ob die russische Wirtschaft stagniert).
Zentralbank: Die Abkühlung der Wirtschaft hat wahrscheinlich begonnen
Kurz vor der Veröffentlichung der Februar-Daten hatte die russische Zentralbank eine Zusammenfassung der Diskussion ihres Direktoriums bei der letzten Leitzinsentscheidung am 21. März veröffentlicht. Darin heißt es, „die Überhitzung“ der russischen Wirtschaft habe im ersten Quartal 2025 wahrscheinlich nachzulassen begonnen. Der aktuelle Inflationsdruck nehme ab, das Wachstum der Binnennachfrage verlangsame sich und es gebe Anzeichen für eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt. Es sei jedoch noch zu früh, von einer nachhaltigen Verringerung der Überhitzung der Wirtschaft zu sprechen. Es könne noch nicht gesagt werden, dass die Geschwindigkeit der Abkühlung ausreiche, um die Inflation im Jahr 2026 wieder auf die von der Zentralbank angestrebte Rate von 4 % zu bringen (Finmarket.ru).
Am 14. Februar hatte die Zentralbank ihre Prognose für Russlands BIP-Wachstum im Jahr 2025 von 0,5–1,5 % auf 1,0–2,0 % angehoben. Gleichzeitig senkte sie ihre Wachstumsprognose für 2026 von 1,0–2,0 % auf 0,5–1,5 %.
S&P Global-Umfrage signalisiert Abnahme der Geschäftsaktivitäten
Die vom weltweit tätigen Research-Unternehmen S&P Global im März durchgeführten Befragungen von russischen Unternehmen zur Ermittlung der „Einkaufsmanager-Indizes“ deuten auf eine merkliche Abschwächung der Geschäftsaktivitäten der russischen Wirtschaft im Bereich der Industrie hin.
Der „Purchasing Manager-Index“ (PMI) der Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes fiel im März unter die kritische Marke von 50 Indexpunkten. Er sank von 50,2 Punkten im Februar auf 48,2 Punkten im März. Hauptgrund hierfür war ein Rückgang der Auftragseingänge. Sowohl die Inlands- als auch die Auslandsnachfrage sank (Finmarket.ru). Mit dem Unterschreiten der „Wachstumsschwelle“ von 50 Indexpunkten wird laut „S&P Global“ ein Rückgang der Produktion im Verarbeitenden Gewerbe gegenüber dem Vormonat signalisiert. Trotz der gesunkenen Auftragseingänge blieben die Unternehmen hinsichtlich ihrer Produktionsaussichten in den nächsten zwölf Monate aber optimistisch. Sie stellten im März weiterhin neue Mitarbeiter ein.
Der PMI im Dienstleistungsbereich hielt sich im März nur knapp über der „Wachstumsschwelle“. Er sank von 50,5 Indexpunkten im Februar auf 50,1 Indexpunkte.
Der kombinierte Index von Industrie und Dienstleistungen, der „Composite Output Index“, fiel von 50,4 Indexpunkten im Februar auf 49,1 Indexpunkte im März. In der folgenden Abbildung wird die Entwicklung des „Composite Output Indexes“ (blaue Linie) mit der jährlichen Veränderungrate der Quartalswerte des realen Bruttoinlandsprodukts (orange Linie) verglichen. Die Abbildung zeigt: Einem deutlichen Rückgang des „Composite Output Indexes“ unter 50 Indexpunkte (linke Skala) folgt in der Regel eine Periode mit einem Rückgang der Vierteljahreswerte des realen Bruttoinlandsprodukts im Vorjahresvergleich (rechte Skala).

S&P Global: S&P Global Russia Services PMI, Russia Composite PMI, 03.04.25
Die Realeinkommen sind seit 2023 kräftig gestiegen
Das starke Wachstum der russischen Wirtschaft in den beiden letzten Jahren ließ auch die Einkommen kräftig steigen. Der durchschnittliche Reallohn stieg 2023 im Vorjahresvergleich um 8,2 Prozent und 2024 um 9,1 Prozent. Im Januar 2025 war er 6,5 Prozent höher als ein Jahr zuvor (Finmarket.ru).
Der russische Ministerpräsident Michail Mischustin wies in seinem Bericht zur Arbeit der Regierung im Jahr 2024 in der Staatsduma am 26. März (Video mit deutscher Übersetzung) unter anderem darauf hin, dass die Realeinkommen der Bevölkerung 2024 um 8,5 Prozent gestiegen seien (Lenta.ru, TASS). 2023 waren sie laut Rosstat um 5,8 Prozent gestiegen, nach einem Rückgang um 1 Prozent im Jahr 2022 (Finmarket.ru).
In 43 von 100 Haushalten sind die Realeinkommen mindestens 10 % höher als 2023
Weitere Daten zur Entwicklung der Realeinkommen veröffentlichte Ende März die russische Zentralbank in ihrem Bericht über die Ergebnisse ihrer „Allrussischen Haushaltsumfrage zu den Finanzen der Verbraucher“ für das Jahr 2024. Die folgende Abbildung gibt Informationen zur Veränderung der Realeinkommen pro Person im Zwei-Jahresvergleich 2024/2022. Die Zentralbank ermittelte die Anteile der Haushalte, in denen die Realeinkommen gesunken sind, sich kaum veränderten und merklich stiegen.
Die erste blaue Säule auf der linken Seite der Abbildung zeigt, dass in 19 Prozent der Haushalte die Realeinkommen pro Person um über 10 Prozent gesunken sind. In 7 Prozent der Haushalte sanken sie um 3 bis 10 Prozent im Vergleich 2024/2022.
In 9 Prozent der Haushalte lag die Veränderungsrate der Realeinkommen zwischen – 3 Prozent und + 3 Prozent.

In 65 Prozent der Privathaushalte sind die Realeinkommen pro Person um mindestens drei Prozent gestiegen, in 43 Prozent der Haushalte um mindestens 10 Prozent:
In 12 % der Haushalte stiegen sie um 3 bis10 %,
in 17 % der Haushalte um 10 bis 25 %,
in 14 % der Haushalte um 25 bis 50 %,
in 22 % der Haushalte um 50 % oder mehr.
Der Stellvertretende Präsident der russischen Zentralbank Alexey Zabotkin erläuterte die Ergebnisse der Umfrage in einer Präsentation (Video: Pressekonferenz am 28.03.25).
Andrei Yakovlev: Weit überdurchschnittliche Lohnsteigerungen für Soldaten
Andrei Yakovlev (Associate at the Harvard University Davis Center & visiting research fellow at the Excellence Cluster “Contestations of the Liberal Script (SCRIPTS)” at Freie Universität Berlin) wies in einem Kommentar in den Russland-Analysen Ende Februar darauf hin, der Anstieg der Reallöhne in Russland in den Jahren 2023 und 2024 spiegele nur „die Durchschnittstemperatur im Krankenhaus“. Rosstat vermelde Durchschnittswerte. Sie setzten sich aus den gestiegenen Einkommen der Familien von mobilisierten Soldaten und Berufssoldaten (mit Steigerungen um das Drei- bis Vierfache) und „dem fehlenden Anstieg der Einkommen von Ärzt:innen, Lehrer:innen, Rentner:innen sowie vielen Mitarbeiter:innen in der Privatwirtschaft“ zusammen. Ihre Gehälter und Löhne hätten nicht mit jenen in der Rüstungsindustrie schritthalten können (siehe dazu auch Kommentar von Konstantin Ordow, Direktor der Hochschule für Finanzen an der Wirtschaftsuniversität Plechanow, zum Jahresbericht von Ministerpräsident Mischustin in russland.capital).
Gleichzeitig meint aber auch Yakovlev, der von 1993 bis 2023 an der Moskauer „Higher School of Economics“ tatig war (HSE dazu), das alles bedeute nicht, dass Russlands Wirtschaft „morgen oder übermorgen zusammenbreche“. Ihr stehe aber eine langwährende Stagnation bevor.
Reuters-Umfrage: Russlands Inflation sinkt Ende 2025 auf 6,8 Prozent, die Rubel-Aufwertung geht bis Ende September verloren
Bei einer Ende März veröffentlichten Reuters-Umfrage mit 18 Teilnehmern gingen die Analysten im Durchschnitt davon aus, dass die Zentralbank ihren Leitzins am 25. April bei 21 Prozent belassen wird. Einige Analysten erwarten den Beginn von Leitzinssenkungen erst im zweiten Halbjahr. Im Durchschnitt des zweiten Quartals 2025 rechnen die Analysten mit einem Leitzins von 20 Prozent. Ihre Prognose für den jährlichen Anstieg der Verbraucherpreise im Dezember 2025 sank von 7,0 auf 6,8 Prozent.
Der russische Rubel dürfte nach seinem starken Kursanstieg seit dem Jahresbeginn nach Einschätzung der Analysten in einem Jahr wieder auf ein Niveau von rund 100 Rubel je US-Dollar fallen. Seit Anfang 2025 hat der Rubel gegenüber dem Dollar um rund ein Viertel zugelegt.

Derzeit ist der Rubel laut Reuters etwa 12 Prozent stärker als im Haushalt angenommen wurde. Ein unerwartet starker Rubel könnte, so Reuters, das russische Haushaltsdefizit im Jahr 2025 vergrößern und die Regierung zwingen, mehr Kredite aufzunehmen als geplant. Als Hintergrund für den Kursanstieg des Rubels nennt Reuters vor allem die Erwartung, dass nach der Aufnahme von Gesprächen zwischen den USA und Russland ein Abbau der geopolitischen Spannungen möglich sei. Die Analysten gehen davon aus, dass der Rubel bis Ende September von seinem aktuellen Stand von etwa 85 Rubel je US-Dollar auf 97 Rubel je US-Dollar fallen wird.
BOFIT: Die Wachstumseffekte der Haushaltsausgaben werden schwächer
Das Forschungsinstitut BOFIT der finnischen Zentralbank stellt in seinem Wochendienst „BOFIT Weekly“ in einer Zusammenfassung seiner Russland-Prognose heraus, dass Russlands Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren hauptsächlich durch starke Erhöhungen der Staatsausgaben, insbesonders zur Finanzierung der Kriegskosten, erreicht worden sei. Die Regierung plane in diesem Jahr zwar erneut eine deutliche Erhöhung der Haushaltsausgaben. Dabei müsse sie aber mit sinkenden Wachstumseffekten der Ausgaben rechnen, weil die russische Wirtschaft bereits unter einem akutem Arbeitskräftemangel und Kapazitätsengpässen in vielen Branchen leide.
Die jährliche Inflationsrate stieg im März auf 10,3 Prozent
BOFIT stellt fest: „Die Inflation hat sich beschleunigt, und die Verbraucherpreise stiegen im Januar und Februar im Vergleich zum Vorjahr um 10 %. Die russische Zentralbank war zudem gezwungen, ihren Leitzins im vergangenen Herbst auf ein historisches Hoch von 21 % anzuheben, um die Inflation einzudämmen.“
Bisher ist die jährliche Rate des Anstiegs der Verbraucherpreise jedoch nicht gesunken. Die Bank Sankt Petersburg weist am 03. April darauf hin, dass die jährliche Inflationsrate in der letzten März-Woche auf 10,3 Prozent stieg (siehe rote Linie in der folgenden Abbildung in Finam.ru).

Laut Rosstat ist die jährliche Inflationsrate auch im gesamten Monat März auf 10,3 Prozent gestiegen (TradingEconomics). Trotz der Anhebung des Leitzinses auf 21 Prozent im Oktober 2024 (siehe dunkelblaue Linie) hat sich der Preisanstieg beim Vergleich zum Vorjahresmonat damit seit Oktober 2024 um 1,8 Prozentpunkte erhöht. Bei der Interfax Analysten-Umfrage Anfang April erwarteten die Teilnehmer, dass die jährliche Inflationsrate im Dezember 2025 noch 7,9 Prozent erreichen wird (Finmarket.ru).
Der Anstieg des Verbraucherpreisindexes gegenüber dem Vormonat ist jedoch seit Januar 2025 rückläufig. Das betonte Zentralbankpräsidentin Elwira Nabiullina in einer Duma-Rede (Finam.ru). Im März fiel der Preisanstieg gegenüber dem Vormonat auf 0,65 Prozent (Finmarket.ru).
Investitionen und privater Verbrauch wachsen in Russland langsamer
BOFIT geht davon aus, dass sich die Nachfrage des privaten Sektors in Russland aufgrund der hohen Inflation und der hohen Zinsen abschwächen dürfte.
Insbesonders die Perspektiven für die Investitionen im privaten Sektor seien „schwach“. Die Investitionsmöglichkeiten würden durch die steigenden Kreditkosten, durch steigende Lohn- und Materialkosten sowie Steuererhöhungen eingeschränkt. Die Unternehmensgewinne sänken.
Auch das Wachstum des privaten Konsums dürfte sich nach Einschätzung von BOFIT deutlich verlangsamen. Das Wachstum der Löhne schwäche sich ab und die hohe Inflation mindere die Kaufkraft.
Russland kann seine Haushaltsdefizite weiterhin finanzieren
Zur Entwicklung der öffentlichen Haushalte stellt BOFIT fest, das starke Wachstum der Staatsausgaben während des Ukraine-Krieges habe die russischen Staatsfinanzen ins Defizit getrieben. Seit Kriegsbeginn hätten die Defizite rund 2 Prozent des BIP pro Jahr erreicht.
Die aktuelle Haushaltsplanung sieht laut BOFIT eine Reduzierung des jährlichen Defizits auf rund 1 Prozent des BIP zwischen 2025 und 2027 vor. Diese Planung basiere jedoch auf „eher optimistischen Annahmen“. Das Defizit könnte deswegen erneut höher ausfallen als geplant.
Die Defizite im Staatshaushalt dürften laut BOFIT im Prognosezeitraum zwar anhalten. Russland habe aber weiterhin Möglichkeiten, diese Defizite zu finanzieren. Die Regierung plane, die Defizite durch eine erhöhte Kreditaufnahme auf dem Inlandsmarkt zu decken.
Die Staatsverschuldung Russlands sei mit rund 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts relativ niedrig merkt BOFIT an (siehe auch Fokusanalyse „Russische Staatsschulden“ der Deutsch-Russisschen Auslandshandelskammer).
Der russische „Nationale Vermögensfonds“ verfügt laut BOFIT noch über liquide Mittel in Höhe von fast 2 Prozent des BIP. Zwei Drittel der liquiden Mittel des Fonds seien wegen des Krieges jedoch inzwischen verbraucht.
BOFIT: Eine „ausgewachsene Wirtschaftskrise“ ist derzeit nicht in Sicht
Als Fazit betont das Forschungsinstitut der finnischen Zentralbank, dass es zwar mit einer „deutlichen Verlangsamung“ des Wachstums der russischen Wirtschaft rechne. Eine „ausgewachsene Wirtschaftskrise“ sei in Russland derzeit aber nicht in Sicht. Trotz des schwächeren Wachstums könne Russland die für den Krieg benötigte Produktion weiterhin erstellen.
Igor Lipsits: Eine Katastrophe in der russischen Wirtschaft ist unvermeidbar
Der aus Russland ausgewanderte frühere Professor der Higher School of Economics, Igor Lipsits, sieht Russlands Wirtschaft in einer viel kritischeren Lage als BOFIT. Er meinte in einem Interview mit dem YouTube-Kanal von Michail Chodorkowski sogar, „eine Katastrophe“ der russischen Wirtschaft sei unvermeidlich. Das berichtet das ukrainische „Odessa Journal“.
Russland stehe 2025 an einem Scheideweg sagt Lipsits. Entweder werde es den Krieg beenden und irgendwie zu einem friedlichen Leben zurückkehren. Oder es werde in eine Lage geraten, aus der es kein Zurück mehr gebe, sondern nur die völlige Zerstörung.
Lipsits meint, es sei klar, dass die russische Wirtschaft nicht länger allein durch die Rüstungsproduktion wachsen könne. Sie stehe vor sehr großen finanziellen Problemen. Der Rubel habe an Stärke gewonnen, was ein Schlag für den Staatshaushalt sei.
Auch in einem ausführlichen dreiteiligen Interview mit dem ukrainischen Internet-Magazin „The New Voice of Ukraine“ erklärte Lipsits, Russlands Wirtschaft stehe „am Rande des Zusammenbruchs“. Die offiziellen Statistiken Russlands seien schon vor dem Krieg „fragwürdig“ gewesen, heute seien sie „regelrecht manipuliert“.
Die Regierung habe jahrelang enorme Summen – etwa 180 bis 200 Milliarden Dollar pro Jahr – in die Wirtschaft gepumpt, insbesondere in den militärisch-industriellen Komplex. Diese Ausgabenpolitik habe zunächst den Anschein von Wirtschaftswachstum erweckt. Gleichzeitig habe sie aber auch die zivile Industrie zerstört.
Russlands Wirtschaft werde mit Geld überschwemmt. Es gebe aber nicht genügend
Güter, um es zu absorbieren, so Lipsits. Die Importe schrumpften und die Inlandsproduktion breche ein.
Um die Inflation zu bremsen, habe die Regierung die Einlagenzinsen erhöht, wodurch das Geld vorübergehend auf den Bankkonten gebunden werde. Doch wenn die Zinsen fielen, würden diese Ersparnisse mit einem Schlag auf den Markt strömen und eine Hyperinflation auslösen, warnt Lipsits.

