Autor: Klaus Dormann
Die Nachrichten über die Vorbereitung von Verhandlungen zur Beendigung des Ukraine-Krieges häufen sich. Welche Auswirkungen hätte ein Waffenstillstand auf die Entwicklung der russischen Wirtschaft? Häufig ist die These zu hören, die russische Wirtschaft sei inzwischen eine „Kriegswirtschaft“, die bei einem Friedensschluss in eine Rezession fallen würde. Andererseits wird darauf verwiesen, dass die hohen Ausgaben für das Militär bisher nicht nur die Produktion stark steigen ließen. Sie hätten auch den russischen Bürgern Vorteile gebracht. Die Reallöhne seien stark gestiegen.
Was meinen Experten dazu. Nachstehend einige Hinweise auf die Entwicklung der russischen Militärausgaben und auf Kommentare von Sergei Guriev, Janis Kluge und Jacques Sapir zur Entwicklung der Militärausgaben im Kontext der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Russlands.
SIPRI-Schätzungen zum Anstieg der russischen Militärausgaben
Das „Stockholm International Peace Research Institute“ (SIPRI) veröffentlicht jährlich Studien zur weltweiten Entwicklung der Militärausgaben. Die folgende Statista-Abbildung zur Entwicklung der russischen Militärausgaben verwendet Daten aus dem im April 2025 veröffentlichten SIPRI-Fact Sheet „Trends in World Military Expenditure, 2024“. Die Abbildung zeigt, dass sich der Anteil der Militärausgaben Russlands am russischen Bruttoinlandsprodukt im Verlauf der ersten drei Jahre des Ukraine-Krieges etwa verdoppelt hat.

Statista; J. Rudnicka: Militärausgaben von Russland bis 2024, 26.11.25;
„Stockholm International Peace Research Institute“: SIPRI-Fact Sheet, April 2025
2021, im Jahr vor dem Beginn des Krieges, betrug der Anteil der Militärausgaben 3,6 Prozent des BIP. 2024 erreichte der Anteil 7,1 Prozent (blaue Säulen).
Die russischen Militärausgaben stiegen 2024 auf rund 149 Mrd. US-Dollar (schwarze Linie). 2021 hatten sie nur rund 66 Mrd. US-Dollar betragen. Die Militärausgaben haben sich also mehr als verdoppelt. Damit sind sie in US-Dollar seit 2021 prozentual noch etwas stärker gestiegen als sich ihr Anteil am BIP erhöhte.
Die Abbildung macht deutlich, dass die Höhe der russischen Militärausgaben in US-Dollar wegen der Umrechnung von Rubel in US-Dollar zu laufenden Wechselkursen sehr stark von den schwankenden Wechselkursen abhängt. So sind Russlands Militärausgaben in US-Dollar wechselkursbedingt von 2013 bis 2015 deutlich gesunken. Gleichzeitig ist der Anteil der Militärausgaben am Bruttoinlandsprodukt aber deutlich gestiegen (weitere Informationonen zu den Methoden der Messung von Militärausgaben bietet: Prof. Dr. Richard Reichel, FOM Hochschule Essen: Auf Augenhöhe mit Russland: Welche militärischen Ressourcen werden benötigt? Wirtschaftsdienst, April 2025 )
Wie entwickelt sich der Anteil der Militärausgaben am BIP 2025 und 2026?
2025 werden die russischen Militärausgaben laut einer im April 2025 veröffentlichten SIPRI-Studie voraussichtlich auf 7,2 Prozent des BIP steigen (Julian Cooper: Preparing for a Fourth Year of War: Military Spending in Russia’s Budget for 2025, April 2025).
Auch 2026 werden die Militärausgaben laut Aleksandr Kolyandr voraussichtlich bei rund 7 Prozent des BIP liegen. Der „Senior Fellow“ des Washingtoner „Center for European Policy Analysis“ berichtet in einem Artikel zur Haushaltsplanung der russischen Regierung:
„2026 soll der Verteidigungshaushalt erstmals seit dem Einmarsch in die Ukraine sinken, und zwar von 13,5 Billionen Rubel (161 Milliarden US-Dollar) auf 12,93 Billionen Rubel. Dies entspricht in etwa dem Plan des Vorjahres, der Ausgaben von 12,8 Billionen Rubel vorsah.
Die Ausgaben für nationale Sicherheit und Strafverfolgung werden jedoch von 3,56 Billionen Rubel im Jahr 2025 auf 3,91 Billionen Rubel im Jahr 2026 steigen.
Infolgedessen werden die kombinierten Ausgaben für Verteidigung und nationale Sicherheit auf einem Rekordniveau von knapp unter 40 % der Bundesausgaben und etwa 7 % des BIP bleiben.“
Sergei Guriev: Der BIP-Anteil der Militärausgaben beträgt rund 10 Prozent
Sergei Guriev ist Dekan und Professor für Volkswirtschaftslehre an der „London Business School“. Der frühere Rektor der Moskauer „New Economic School“ emigrierte 2013. Er war unter anderem Chefvolkswirt der Londoner „Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung“.
Im Financial Times-Podcast „The Economics Show“ hat sich Guriev Mitte Februar auch zur Frage geäußert, welchen Anteil der gesamtwirtschaftlichen Produktion Russland derzeit für Verteidigung und Sicherheit ausgibt. Addiere man diese beiden Posten, wären es rund 10 Prozent des BIP, so Guriev. Die tatsächliche Zahl könnte aber noch höher leigen.
Gleichzeitig betonte Guriev aber, niemand behaupte, dass das heutige Russland so stark militarisiert sei wie die frühere Sowjetunion. Manche schätzten die Verteidigungs- und Sicherheitsausgaben in der Sowjetunion auf bis zu 20 Prozent des BIP.
Das Ende des Kalten Krieges und die drastische Entmilitarisierung der Sowjetunion hätten die gesamte russische Wirtschaft damals stark getroffen, weil der Verteidigungssektor einen so großen Teil der sowjetischen Wirtschaft ausmachte. Die Rezession in Russland Anfang der 1990er-Jahre sei ein schwerer Schock gewesen. Die Mitarbeiter der „Verteidigungsindustrie“ hätten mühsam umgeschult werden müssen.
Zu gelegentlich geäußerten Befürchtungen, Präsident Putin wolle nicht über einen Frieden in der Ukraine verhandeln, weil er eine Rezession nach dem Krieg befürchte, sagte Guriev im FT-Podcast:
„Die Russen wissen, wie man in einer friedlichen Wirtschaft lebt. Das ist noch nicht lange her, und die Militärwirtschaft ist heute wahrscheinlich nur noch halb so groß wie zu Sowjetzeiten. Und Russland ist eine Marktwirtschaft. Daher wird die Anpassung der Wirtschaft leichter fallen. … Manche behaupten, ganz Russland arbeite für diesen Krieg, die Russen befürworteten ihn, weil sie davon profitierten. Das halte ich für übertrieben.“
Quelle: Financial Times Podcast „The Economics Show“; Martin Sandbu talks to Sergei Guriev, dean of London Business School: The real Russian economy. with Transcript, 18.02.25
Sergei Guriev: Noch zwingen die Wirtschaftsprobleme Präsident Putin nicht zu einem Einlenken im Ukraine-Krieg
Im Oktober kommentierte Guriev in einem Beitrag für „Project Syndicate“, der auch von der österreichischen Zeitung „Der Standard“ veröffentlicht wurde, die wachsenden wirtschaftlichen Probleme Russlands. Noch werden diese aber nicht zu einem Kurswechsel von Präsident Wladimir Putin im Ukraine-Krieg führen, meint Guriev.
Nachstehend eine Zusammenfassung einiger der Anmerkungen Gurievs zur aktuellen Entwicklung der russischen Wirtschaft, die er auch als „Kriegswirtschaft“ bezeichnet:
Deutlich weniger Wachstum, weiterhin hohe Inflation, steigendes Haushaltsdefizit
Selbst optimistischste Prognosen gehen davon aus, dass das russische Wachstum in diesem Jahr nur noch bei etwa einem Prozent liegen wird – ein deutlicher Rückgang gegenüber den 4,3 des Jahres 2024 und den 4,1 im Jahr 2023. Trotz dieses Abschwungs bleibt gleichzeitig auch die Inflation ein Problem.
Auch finanzpolitisch steht Präsident Wladimir Putin vor Herausforderungen. In den ersten acht Monaten gingen die Steuereinnahmen aus dem Öl- und Gassektor im Vergleich zum Vorjahr um etwa 20 Prozent zurück, wodurch sich die Reserven im Staatsfonds leeren.
Das russische Haushaltsdefizit wird bis Ende des Jahres voraussichtlich auf 2,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ansteigen. Nach US-amerikanischen oder europäischen Maßstäben ist das Defizit niedrig. Es ist aber problematisch für ein Land, das als Strafe für die Invasion in der Ukraine von einer Kreditaufnahme auf dem internationalen Kapitalmarkt abgeschnitten ist.
Da Putin weiß, dass ihm in nicht einmal einem Jahr das Geld ausgehen wird, hat er gerade einen Haushalt angekündigt, der erhebliche Steuererhöhungen vorsieht. Sie werden die Wirtschaft weiter belasten.
Russlands Wirtschaftslage ist aber „noch nicht katastrophal“
Die russische Wirtschaft stagniert zwar, aber sie ist nicht am Zusammenbrechen. Und bei einer Erwerbsbevölkerung von mehr als 72 Millionen Menschen kann Putin immer noch etwa 30.000 Soldaten pro Monat rekrutieren, indem er Männern aus den ärmsten Regionen Russlands das Zehn- bis Zwanzigfache ihres Durchschnittslohns zahlt.
Diese Faktoren und sein Repressionsapparat dürften Putin überzeugt haben, dass er über die Mittel verfügt, seine Kriegswirtschaft am Laufen zu halten und die Unzufriedenheit im Lande so lange wie nötig zu unterdrücken.
Kurzfristig verfügt Putin über ausreichende Mittel, um die Ordnung im eigenen Land aufrechtzuerhalten und den langsamen Vormarsch seiner Armee in der Ukraine zu finanzieren. Ja, das geht auf Kosten der Ausgaben für Bildung, Gesundheitsfürsorge, Innovation und Infrastruktur. Aber für Putin sind Fortschritte auf dem Schlachtfeld eine bessere Investition in die Zukunft Russlands: Sie bedeuten, dass er bessere Karten hat, wenn die Zeit kommt, eine Einigung zu erzielen.
Quelle: Sergei Guriev; Kommentar in „Der Standard“: Wie Russland unter Putins Kriegsmaschinerie leidet; Project Syndicate, 20.10.25; siehe zur Entwicklung der russischen Wirtschaft auch: Wall Street Journal-Video: How Much Longer Can War Prop Up Russia’s Economy?, 5 Min., mit Guy Anderson, Head of Defense Markets, Janes; 05.08.25
Janis Kluge: In einer „Kriegswirtschaft“ ist Russland noch nicht angekommen
Der Russland-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, Dr. Janis Kluge, sieht die russische Wirtschaft weiterhin nicht als „Kriegswirtschaft“. In einem Interview im Podcast „Thema des Tages“ der österreichischen Zeitung „Der Standard“ beschrieb Kluge Russlands Wirtschaftssystem am 11. November zusammengefasst so:
Die russische Wirtschaft ist eine „spezielle Marktwirtschaft“, eine Marktwirtschaft mit einigen Einschränkungen. Im Kern bestimmen aber doch die Preise, private Unternehmen und auch das Motiv der Gewinnmaximierung sehr, sehr viel in der russischen Wirtschaft. Das gibt der Wirtschaft natürlich eine gewisse Resilienz. Die russische Wirtschaft ist größtenteils eine Privatwirtschaft. Sie hat aber einen sehr dominanten staatlichen Sektor, vor allen Dingen im Energiebereich.
Ich würde Russlands Wirtschaft weiterhin nicht als „Kriegswirtschaft“ bezeichnen. Dafür sind die Veränderungen noch nicht groß genug. Russlands Militärausgaben sind zwar sehr hoch. Rund 8 bis 10 % des Bruttoinlandsprodukts werden für das Militär verwendet. Unglaublich viele Menschen werden für den Krieg rekrutiert, aber auch für die Rüstungsindustrie. So ist der Krieg auch auf dem Arbeitsmarkt sehr deutlich zu spüren.
Die russische Wirtschaft ist wahrscheinlich eher eine Wirtschaft, die langsam für den Krieg mobilisiert wird, aber eben noch nicht in der Kriegswirtschaft angekommen ist.
Ein Großteil der Bevölkerung blendet den Krieg noch einfach aus
Der Krieg und seine Folgen entwickeln sich zwar zu einer Belastung. Sehr klar auf die Kriegsausgaben zurückzuführen ist der starke Anstieg der Inflation in den letzten Jahren, der die Zentralbank dazu zwingt, auch extrem hohe Zinsen einzuführen und damit die Wirtschaft abzuwürgen.
Insgesamt ist es in Russland für viele Menschen in vielen Berufen und Bereichen aber weiterhin möglich, den Krieg auch zu ignorieren. Ein Großteil der russischen Gesellschaft blendet diesen Krieg einfach aus.
Putins Macht basiert darauf, dass die Menschen den Krieg ausblenden können.
Kluge: Teile der Bevölkerung haben von den Kriegsausgaben sehr profitiert
Von den Kriegsausgaben profitiert hat natürlich die Rüstungsindustrie, die nach dem Ende der Sowjetunion sehr gelitten hat. Die Industrieregionen Russlands haben also auch sehr stark von den Kriegsausgaben profitiert.
Zumindest gewisse Teile der russischen Bevölkerung haben auch von den Kriegsausgaben sehr profitiert. Zu den Kriegsausgaben gehören die Gehälter der Soldaten, es gibt „Anwerbeboni“ und auch Entschädigungen für die Familien von gefallenen Soldaten. Diese Geldleistungen des Staates fließen an zuvor eher arme Haushalte. Sie tragen dazu bei, dass die Einkommen in Russland insgesamt steigen. Die kriegsbedingte Knappheit an Arbeitskräften wirkt sich auch in Form von steigenden Gehältern aus.
Die Bevölkerung unterstützt den Krieg aber nicht aktiv
Wenn die Wirtschaft jetzt in Probleme gerät,
wenn das Benzin knapp wird, wenn die Inflation in die Höhe geht,
wenn der Staat die Steuern erhöht oder die Ausgaben kürzen muss,
dann ist der Krieg natürlich für alle plötzlich sehr spürbar.
Dann wird sich auch zeigen, dass die Bevölkerung für diesen Krieg eigentlich kein wirkliches Verständnis hat. Es gibt wenig wirklich glühende Anhänger dieses Krieges in der russischen Bevölkerung, während das Regime den Krieg relativ fanatisch betreibt. Die Bevölkerung nimmt den Krieg eben hin, unterstützt ihn aber nicht aktiv.
Diese Lücke zwischen dem russischen Regime und dem, was die Bevölkerung eigentlich über den Krieg denkt, wird dann deutlich spürbarer werden, wenn der Preis des Krieges für alle deutlich sichtbarer wird. Dabei spielt die Entwicklung der Wirtschaft eine zentrale Rolle.
Quelle: Janis Kluge, Stiftung Wissenschaft und Politik, im „Der Standard“ Podcast „Thema des Tages“ im Interview mit Schold Wilhelm: Steht Russlands Wirtschaft vor dem Kollaps? 34 Min., 11.11.25
Jacpues Sapir: Russland hat zu hohe Zinsen und zu wenig Arbeitskräfte
Professor Jacques Sapir (Jahrgang 1954) lehrt an der „School of Economic Warfare“ in Paris. Er war Forschungsdirektor an der Pariser École des Advanced Study in the Social Sciences (EHESS). Sapir ist u.a. Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften.
Im November besuchte Sapir das „Donau-Institut“ (Institut für Donauraumstudien und europäische Integrationsforschung) an der deutschsprachigen Andrássy Universität Budapest (AUB), die von der Bundesrepublik Deutschland, dem Freistaat Bayern, dem Land Baden-Württemberg, Österreich und Ungarn gefördert wird. „Hungarian Conservative“ veröffentlichte ein Interview von Tamás Maráczi mit Sapir (auch als Video) zu folgenden Fragen:
0:44 – Wie lange kann Russland den Ukraine-Krieg wirtschaftlich noch durchhalten?
4:22 – Ist die russische Wirtschaft widerstandsfähig oder hat sie ernsthafte Probleme?
8:36 – Gibt es lange Schlangen an russischen Tankstellen?
11:50 – Gibt es Anzeichen für eine unkontrollierte Inflation oder Rezession?
14:01 – Wie spürt die russische Mittelschicht die Auswirkungen des Krieges?
17:46 – Wann könnte ein Wendepunkt erreicht sein, an dem der Lebensstandard sinkt?
22:00 – Welche langfristigen Schwachstellen hat die russische Wirtschaft?
24:46 – Wie viel gibt Russland für Verteidigung aus?
26:50 – Warum hat Russland diesen Krieg nicht spektakulär gewonnen?
32:05 – Sind Ängste der baltischen Staaten und Polens vor Russland berechtigt?
33:45 – Was könnte das realistischste Ergebnis dieses Krieges sein?
Sapir vertritt in dem Interview zur Entwicklung der russischen Wirtschaft zusammengefasst u.a. folgende Thesen:
Russland ist eine „Wirtschaft im Krieg“, aber keine „Kriegswirtschaft“
Der Anteil der Militärausgaben am BIP liegt in Russland zwischen 6,5 und 7 Prozent.
Russlands Rüstungsindustrie hat sich bisher ohne Beeinträchtigungen für den zivilen Sektor entwickelt. Genau darin liegt der große Unterschied zwischen einer „Wirtschaft im Krieg“ und einer „Kriegswirtschaft“. In Russland gibt es nach wie vor eine zivile Industrie, die sich unabhängig entwickelt. Dieses Modell ist über einen längeren Zeitraum tragfähig. Beim aktuellen Wachstum kann Russland seine Kriegsanstrengungen fünf oder zehn Jahre lang – vielleicht sogar auf unbestimmte Zeit – fortsetzen.
Ein Problem der Wirtschaft ist der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften
Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften ist für Russland weiterhin ein Problem. Die Arbeitslosenquote liegt bei 2 Prozent, was tatsächlich sehr niedrig ist. Es besteht also ein Arbeitskräftemangel, der durch eine Steigerung der Arbeitsproduktivität und durch Zuwanderung behoben werden sollte.
Kein Problem hat Russland, seine Energie zu exportieren. Wir wissen, dass Öl und Gas größtenteils nach China und Indien exportiert werden.
Auch das Haushaltsdefizit ist kein Problem. Es wird In Russland rund 3 Prozent erreichen, was genau dem in der EU vorgeschriebenen Wert entspricht. Für Frankreich ist ein Haushaltsdefizit von 3 Prozent „ein Wunder“. Das Defizit in Frankreich liegt bei 5,6 oder 5,8 Prozent des BIP.
Der zeitweilige Kraftstoffmangel in Russland hängt damit zusammen, dass die russischen Raffinerien traditionell im August und September in eine Wartungsphase gehen. Die ukrainischen Angriffe auf einige Raffinerien verschärfen in diesem Jahr die Situation zwar, aber der Kraftstoffmangel ist ein kurzfristiges Problem.
Sapir: Die Zentralbank hat den Leitzins viel zu stark angehoben
Vor dem Krieg betrug die Inflation bereits rund 6 Prozent. Im Dezember 2024 lag sie bei 10,5 Prozent. Kriegsbedingt ist die Inflation um rund 4,5 Prozentpunkte gestiegen. Davon waren vemutlich die Hälfte – rund 2 Prozentpunkte – auf die Sanktionen zurückzuführen. Die Sanktionen konnten Einfuhren nicht verhindern, sondern lediglich verteuern.
Die Zentralbank hob den Leitzins viel zu hoch an. Im Januar 2025 betrug der Nominalzins 21 Prozent bei einer Inflationsrate von 10,5 Prozent, was einen Realzins von 10,5 Prozent implizierte – ein viel zu hoher Wert. Die Realzinsen hätten nur auf 4 oder 5 Prozent angehoben werden dürfen.
Die folgende Abbildung der DekaBank zeigt die Entwicklung der jährlichen Inflationsrate und des jährlichen Leitzinses seit Anfang 2022.

DekaBank: Emerging Markets Trends:
Russland: Kein Einlenken in Verhandlungen trotz neuer Ölsanktionen, 06.11.25
Sapir: Die Reallöhne sind kräftig gestiegen
Für die russische „Oberschicht“ hat der Krieg bisher keine Auswirkungen und wird sie auch weiterhin nicht haben.
Für die „obere Mittelschicht“ – die nicht mit der Oberschicht gleichzusetzen ist – hat der Krieg jedoch durchaus Folgen, vor allem weil die progressive Besteuerung der Einkommen die „obere Mittelschicht“ besonders betrifft. Die „obere Mittelschicht“ macht nur 10–12 Prozent der russischen Bevölkerung aus, weshalb ihre Interessen von der Regierung weitgehend vernachlässigt werden.
Für den Rest der Bevölkerung hatte der Krieg jedoch kaum Auswirkungen. Tatsächlich hat er sogar zu einem deutlichen Anstieg der Reallöhne geführt (+10% im Jahr 2023, +7% im Jahr 2024 und rund +5% in diesem Jahr). Beschäftigte im Handel waren von diesen Lohnsteigerungen weniger begünstigt als die Beschäftigen in der Industrie.
Abbildung der Zentralbank zur Reallohnentwicklung seit Anfang 2022
Die Einschätzungen Sapirs zur Reallohnentwicklung veranschaulicht die folgende Abbildung der russischen Zentralbank in ihrem jüngsten Konjunkturbericht „Talking Trends“. Sie zeigt den Anstieg der Reallöhne und wichtiger Bereiche des privaten Verbrauchs von Anfang 2022 bis zum August 2025 (Reallöhne bis Juli 2025).
Erkennbar ist, dass die Reallöhne im bisherigen Verlauf der Kriegsjahre von Januar 2022 bis Juli 2025 um rund 20 Prozent gestiegen sind (gelbe Linie). Im Juli 2025 stiegen die Reallöhne gegenüber Juni saisonbereinigt um 0,9%.
Der reale Umsatz im Bereich „Catering/Gastronomie“ stieg von Januar 2022 bis August 2025 besonders stark um gut ein Drittel (grüne Linie). Der reale Umsatz im Bereich „Dienstleistungen“ wuchs gleichzeitig um rund 12 Prozent (graue Linie). Am schwächsten wuchs der reale Umsatz im Einzelhandel. Er war im August 2025 sowohl im Bereich „Lebensmittel“ (rote Linie) als auch im Bereich „Nicht-Lebensmittel“ nur knapp 10 Prozent höher als im Januar 2022.
Anstieg der Reallöhne seit Anfang 2022 um rund 20 Prozent (gelbe Linie)
Entwicklung der Indizes der Reallöhne und
der realen Umsätze im Einzelhandel (Lebensmittel, Nicht-Lebensmittel),
in der Gastronomie und mit Dienstleistungen, saisonbereinigt (Jan. 2022=100)

Russian Central Bank: Talking trends, 14.10.25
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