Rutscht Russlands Wirtschaft in eine „Rezession“? So flaute die Konjunktur im ersten Quartal 2025 ab

Russische Wirtschaft in Rezession 2025

Autor: Klaus Dormann


2024 ist Russlands Wirtschaft um 4,3 Prozent gewachsen. Dabei beschleunigte sich der Produktionsanstieg im vierten Quartal 2024 nochmals. Im Vergleich zum Vorjahresquartal erreichte das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts 4,5 Prozent. Im ersten Quartal 2025 flaute es jedoch auf nur noch 1,4 Prozent ab. Das teilte das russische Statistikamt Rosstat in einer ersten Schätzung am 16. Mai mit (Interfax).

Angesichts der deutlichen Abschwächung der jährlichen Wachstumsrate gibt es inzwischen auch einige Stimmen, die mit einer „Rezession“ in Russland rechnen. Ob damit ein Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2025 gegenüber dem Jahr 2024 gemeint ist oder „nur“ ein Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion von Quartal zu Quartal im Verlauf des Jahres 2025, muss allerdings unterschieden werden.

„Analysten erwarten eine technische Rezession“

So überschrieb die russische Wirtschaftszeitung „Kommersant“ am 12. Mai einen Artikel zur Konjunktur in Russland. Was ist eine „technische Rezession“? Wer sich im Internet auf die Suche macht, wird verwirrend unterschiedliche Definitionen finden. Folgt man dem Statistischen Bundesamt liegt eine „technische Rezession“ vor, „wenn das preis- und saisonbereinigte Bruttoinlandsprodukt in (mindestens) zwei Quartalen gegenüber dem Vorquartal sinkt.“

Im ersten Quartal 2025 sank das BIP im Vergleich zum Vorquartal

Russlands Wirtschaft könnte laut ersten Schätzungen auf dem Weg in solch eine „technische Rezession“ sein. Das russische Wirtschaftsministerium veröffentlicht zwar zur vierteljährlichen saisonbereinigten Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Produktion keine Einschätzungen mehr. Laut Kommersant sind Analysten der Raiffeisenbank und von „Bloomberg Economics“ bei ersten Berechnungen aber zum Ergebnis gekommen, dass Russlands reales Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal 2025 im Vergleich zum vierten Quartal 2024 saisonbereinigt gesunken ist. Ihre Schätzungen unterscheiden sich aber beträchtlich.

Wie die Russische Akademie der Wissenschaften die Konjunktur sieht

Kommersant weist außerdem auf Schätzungen des „Institute for Economic Forecasting“ (IEF) der Russischen Akademie der Wissenschaften zur Entwicklung des Indexes des saisonbereinigten Bruttoinlandsprodukts hin. Der Index hatte im Dezember einen neuen Höchststand erreicht. Im Januar, Februar und März 2025 fiel er dann gegenüber dem Vormonat ständig (siehe schwarze Linie in der folgenden Abbildung). Im März 2025 sank der BIP-Index gegenüber Februar 2025 laut dem Institut um 0,3 % und war nicht mehr höher als im Herbst 2024.

Die blauen Säulen in der Abbildung zeigen die prozentuale Veränderung des Indexes des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahresmonat. Den jährlichen Anstieg des BIP im März 2025 gegenüber März 2024 schätzt das IEF auf 0,8 Prozent. Im ersten Quartal 2025 war das reale BIP laut der IEF-Schätzung vom 07. Mai um 2,3 Prozent höher als im Vorjahresquartal.

Institute of Economic Forecasting of the Russian Academy of Sciences; IEF-RAS:
Short-term forecast of Russia’s GDP dynamics, May 2025, 07.05.25

Die russische Regierung veranschlagte laut einem Finmarket-Bericht das jährliche Wachstum der russischen Wirtschaft im ersten Quartal 2025 in einer Pressemitteilung am 07. Mai ebenfalls auf 2,3 Prozent. So hoch sei das Wachstum im Vergleich zum Vorjahresquartal  „kalenderbereinigt“ gewesen, wenn man berücksichtige, dass es im Schaltjahr 2024 im ersten Quartal einen Arbeitstag mehr als im ersten Quartal 2025 gab.

Raiffeisenbank: Gegenüber dem Vorquartal sank das BIP um 0,3 Prozent

Der Abschwung der russischen Konjunktur zeigt sich beim Vergleich der gesamtwirtschaftlichen Produktion im ersten Quartal 2025 mit der Produktion im vierten Quartal 2024. Nach den Berechnungen der Raiffeisenbank ging das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal saisonbereinigt gegenüber dem Vorquartal um 0,3 Prozent zurück. Im vierten Quartal 2024 war es gegenüber dem dritten Quartal noch kräftig um 1,3 Prozent gewachsen.

Bloomberg Economics: Eine „technische Rezession“ ist hochwahrscheinlich, das BIP wird im Jahresvergleich aber um rund 1 Prozent wachsen

Bloomberg Economics schätzt laut Kommersant, dass die russische Wirtschaft im ersten Quartal unter Berücksichtigung der Saisonalität gegenüber dem Vorquartal sogar um 0,6 bis 0,8 Prozent geschrumpft ist.

Laut Bloomberg-Analyst Alexander Isakov deuten die ersten Konjunkturdaten für April zudem darauf hin, dass sich die „Abkühlung“ der Produktion fortsetzt. Er verweist darauf, dass der Einkaufsmanager-Index in der Industrie weiterhin unter 50 Punkten liegt, was auf einen Produktionsrückgang hindeutet. Zudem sei der Warentransport der russischen Eisenbahnen rapide gesunken – um 9,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr („The Moscow Times“).

Isakov meint, dass es in Russland mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer „technischen Rezession“ kommen wird – also zwei aufeinander folgenden Quartalen mit einem BIP-Rückgang gegenüber dem Vorquartal. Gleichzeitig geht er jedoch davon aus, dass die russische Wirtschaft im Jahresvergleich 2025/2024 dennoch um rund 1 Prozent wachsen dürfte. Das berichtet ProFinance.ru.

Das russische Wirtschaftsministerium rechnet mit keiner „technischen Rezession“

Zur Möglichkeit einer „technischen Rezession“ in Russland hat sich laut Finmarket.ru vor rund einem Monat am 21. April auch ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums geäußert. Bei der Veröffentlichung der Vorlage des russischen Wirtschaftsministeriums für die Aktualisierung der Prognose der russischen Regierung zur sozio-ökonomischen Entwicklung Russlands in den Jahren 2025 bis 2028 meinte er, das Wachstum der Wirtschaft verlangsame sich im ersten Quartal zwar. Das Ministerium erwartet aber keinen „scharfen Einbruch“ der Produktion.

Das Wirtschaftsministerium blieb bisher bei seiner Prognose, dass die russische Wirtschaft im Jahr 2025 im Vorjahresvergleich um 2,5 Prozent wachsen wird, während gleichzeitig die russische Zentralbank nur einen BIP-Anstieg von 1,0 bis 2,0 Prozent erwartet. Dazu meinte der Vertreter des Wirtschaftsministeriums, dass es eine „technische Rezession“ im Verlauf des Jahres 2025 geben müsse, damit Russlands Wirtschaft 2025 nur um 1,5 Prozent wächst. Damit rechne das Ministerium in seinem „Basisszenario“ aber nicht. In seinem „Stress-Szenario“ halte es hingegen eine „technische Rezession“ im Jahr 2025 für möglich.

Vereinte Nationen und EBRD erwarten 2025 in Russland 1,5 Prozent Wachstum

Laut den Mitte-Mai veröffentlichten Prognosen der Wirtschaftsabteilung der Vereinten Nationen und der Londoner Entwicklungsbank EBRD wird sich Russlands Wirtschaftswachstum 2025 auf 1,5 Prozent abschwächen. Das entspricht annähernd dem Ergebnis von Analysten-Umfragen der Nachrichtenagenturen Interfax und Reuters, die beide ein Wachstum von 1,6 Prozent erwarten lassen.

Russische Zentralbank: Im vierten Quartal nur noch höchstens 1 Prozent Wachstum

Die russische Zentralbank hat laut Interfax die jährliche BIP-Wachstumsrate im ersten Quartal mit 2,0 Prozent auch deutlich höher veranschlagt als sie jetzt von Rosstat eingeschätzt wird (+1,4 Prozent).

In der kürzlich von der Zentralbank veröffentlichten Zusammenfassung der Diskussion ihres Direktorenrates beim letzten Leitzinsentscheid Ende April meint die Zentralbank laut Interfax zur aktuellen Konjunkturentwicklung in Russland:

„Wir können mit größerer Sicherheit sagen, dass der Höhepunkt der wirtschaftlichen Überhitzung im vierten Quartal 2024 überschritten wurde und die positive Produktionslücke im ersten Quartal 2025 zu schrumpfen begann. Dies wird durch einen Rückgang des aktuellen Inflationsdrucks, eine allmähliche Abkühlung der Binnennachfrage und Anzeichen einer gewissen Entspannung auf dem Arbeitsmarkt belegt. … Gleichzeitig bleibt die Überhitzung der Wirtschaft nach wie vor erheblich.“

Im zweiten Quartal 2025 erwartet die Zentralbank, so Interfax, ein jährliches Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent. Bis zum vierten Quartal werde es sich weiter auf 0 bis 1 Prozent verlangsamen (siehe Kommentar der Zentralbank zu ihrer mittelfristigen Prognose).

Wie sich wichtige Branchen im ersten Quartal 2025 entwickelten

Die Raiffeisenbank verweist laut „The Moscow Times“ auf folgende Anzeichen für die „Abkühlung“ der Wirtschaft im ersten Quartal 2025:

Das jährliche Wachstum der Industrieproduktion sank insgesamt auf 1,1 %.

Das jährliche reale Wachstum des Umsatzes im Einzelhandel (Retail) sank auf 3,2 %.

Der reale Umsatz im Großhandel (Wholesale) sank im Jahresvergleich um 2,1 %.

Wie die folgende Tabelle des Börsenunternehmens FINAM zeigt, ergab sich die Abschwächung des Wachstums der Industrieproduktion auf 1,1 Prozent hauptsächlich aus dem Rückgang der Produktion im Bereich „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“ (Mining: – 3,7 Prozent). Die Produktion im „Verarbeitenden Gewerbe“ (Manufacturing) stieg im ersten Quartal im Vorjahresvergleich noch um 4,7 Prozent. Hohe Wachstumsraten verzeichneten auch das Baugewerbe (Construction: + 6,9 Prozent) und der reale Umsatz im Gastronomie-Bereich (Catering: +7,1 %).

Basis für das Wachstum der Ausgaben der privaten Verbraucher im Einzelhandel, für Dienstleistungen und in der Gastronomie war der kräftige Anstieg der Reallöhne im Januar und Februar (Jan.-Feb. 2025/Jan.-Feb. 2024: +5,2 Prozent).

BOFIT: Russlands Wirtschaftswachstum verlangsamte sich im März weiter deutlich

Das Forschungsinstitut BOFIT der finnischen Zentralbank veröffentlichte in seinem Wochenbericht vom 09. Mai zur saisonbereinigten Entwicklung wichtiger Branchen der russischen Wirtschaft im ersten Quartal 2025 folgende Abbildung.

Quellen: Rosstat, CEIC, BOFIT

BOFIT Weekly: Russia’s economic growth continued to slow significantly in March, 09.05.25

BOFIT stellte folgende Trends heraus:

Im Bereich „Bergbau, Förderung von Rohstoffen (Mining and Quarring)“ ging die Produktion sowohl im März als auch im gesamten ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um rund 4 % zurück (siehe untere schwarze Linie in der folgenden Abbildung).

Im „Verarbeitenden Gewerbe“ (Manufacturing) sank die Produktion gegenüber ihrem Ende letzten Jahres erreichten Höchststand im ersten Quartal 2025. Im Vergleich zum Vorjahr war sie im März jedoch immer noch um rund 4 % höher (siehe dunkelblaue Linie).

Auch im Baugewerbe (Construction) war die Produktion im März rückläufig, nachdem es im Februar noch einen erneuten Wachstumsschub gegeben hatte (obere dunkelgraue Linie). Im Vergleich zum Vorjahr betrug das Wachstum der Bauwirtschaft immerhin noch rund 3 %.

Die realen Einzelhandelsumsätze (Retail trade) sind seit mehreren Monaten nahezu unverändert geblieben. Im Vorjahresvergleich betrug ihr Wachstum weiterhin rund 2 % (mittlere dunkelgrüne Linie).

Der durchschnittliche Reallohn ist in den ersten Monaten des Jahres zwar weiter gestiegen, das Wachstum hat sich jedoch deutlich verlangsamt. Die hohe Inflation hat die Kaufkraft der Verbraucher geschwächt. Im März stiegen die Verbraucherpreise im Vergleich zum Vorjahr um rund 10%.

Quellen und Lesetipps:

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