Der Internationale Währungsfonds senkte letzte Woche in seinem „World Economic Outlook“ seine Prognose für das diesjährige Wachstum der russischen Wirtschaft auf nur noch 0,6 Prozent. Ein tiefer Absturz – verglichen mit dem sehr starken Produktionsanstieg von 4,3 Prozent im letzten Jahr. Gleichzeitig geht der IWF davon aus, dass die Inflation in Russland trotz der Wachstumsflaute im Jahresdurchschnitt 2025 auf 9,0 Prozent anzieht (Statistical Annex).
Die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer weist in einer Fokus-Analyse darauf hin, dass die Wachstumsprognose des IWF für 2025 mit nur noch +0,6% jetzt um 0,9 Prozentpunkte niedriger ist als in seiner „Frühjahrsprognose“ vom April. Begründet werde diese Abwärtskorrektur mit einem „statistischen Rückpralleffekt“. Ein Großteil der staatlichen Ausgaben sei im letzten Jahr auf das Jahresende konzentriert worden. Tatsächlich zog Russlands Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal 2024 sehr kräftig an. 2025 erwartet der IWF jetzt wohl keinen ähnlich starken Wachstumsschub am Jahresende.
Mancher Beobachter wird sagen, Russlands Wirtschaft sei nach der Überhitzung im Jahr 2024 in diesem Jahr in eine „Stagflation“ geraten. Vertreter der russischen Regierung und der Zentralbank sprechen hingegen von einer „sanften Landung“ der Konjunktur.
Im internationalen Vergleich ist Russlands Wachstum derzeit jedenfalls schwach, die Inflation hingegen hoch. Die Weltwirtschaft wird laut dem IWF 2025 noch um 3,2 Prozent wachsen, Russland nur um 0,6 Prozent. Gleichzeitig wird die weltweite Inflationsrate in diesem Jahr mit 4,2 Prozent laut der Prognose nur knapp halb so hoch sein wie in Russland (+ 9,0 %). Im September 2025 waren die russischen Verbraucherpreise noch 8,0 Prozent höher als ein Jahr zuvor (Interfax).
Zentralbank-Vizepräsident Zabotkin: Die geplante „sanfte Landung“ gelingt
Die russische Regierung erwartet 2025 einen nicht ganz so starken Rückgang des Wachstums in Russland wie der IWF. Sie nimmt in ihrer Ende September veröffentlichten Haushaltsplanung an, dass die Wirtschaft in diesem Jahr noch um 1,0 Prozent wächst (Wedomosti).
Die russische Zentralbank hat in ihrer Ende Juli veröffentlichten mittelfristigen Prognose das diesjährige Wachstum der russischen Wirtschaft zwar noch auf eine Spanne von +1,0 bis +2,0 Prozent veranschlagt. Mitte Oktober meinte der Stellvertretende Präsident der Zentralbank Alexey Zabotkin aber, dass 2025 nur ein Anstieg des Bruttoinlandsprodukts an der unteren Grenze dieser Wachstumsspanne zu erwarten sei. Die jährliche Inflationsrate werde dabei im Dezember auf 6 bis 7 Prozent sinken, zitierte er in der Duma die Prognose der Zentralbank (Interfax.com). Sie wird anlässlich der Leitzinsentscheidung am nächsten Freitag aktualisiert werden.
Nach Einschätzung von Zabotkin wird es gelingen, die angestrebte „Abkühlung“ der russischen Wirtschaft von der „Überhitzung“ der beiden letzten Jahre durch eine „sanfte Landung“ der Konjunktur zu erreichen. Zabotkin versicherte, die russische Wirtschaft werde ab Ende 2026 zu der von der Zentralbank angestrebten Inflationsrate von 4 Prozent zurückkehren. Das Wirtschaftswachstum werde im nächsten Jahr zwischen +0,5 und +1,5 Prozent liegen und 2027 um einen Prozentpunkt auf +1,5 bis +2,5 Prozent zulegen.
Auch 2026 erwartet der IWF etwas weniger Wachstum als Russlands Regierung
Mitten in der „Prognosespanne“ der Zentralbank von +0,5 bis +1,5 Prozent für 2026 liegt mit +1,0 Prozent die Wachstumsprognose des IWF für das nächste Jahr. Die Prognosespanne der Zentralbank deckt auch die Wachstumsprognose der russischen Regierung für 2026 ab (+1,3%). Auch im nächsten Jahr erwartet der IWF mit +1,0 Prozent also etwas weniger Wachstum in Russland als die Regierung.
Auf längere Sicht schätzt der IWF die Wachstumsmöglichkeiten der russischen Wirtschaft aber offenbar deutlich skeptischer ein als die Regierung. Die Regierung geht davon aus, dass die Anstiegsrate des Bruttoinlandsprodukts 2027 bereits wieder +2,8 % erreicht und sich 2028 bei +2,5 % hält (Wedomosti). Der IWF veröffentlichte für diese Jahre zwar keine Prognosen. In einer „Projektion“ im Statistischen Anhang des World Economic Outlook veranschlagt der IWF Russlands Wirtschaftswachstum im Jahr 2030 aber auf lediglich 1,1 Prozent (Moscow Times, bne Intellinews).
Auch die Analysten erwarten 2025 nur 1 Prozent Wachstum und 2026 kaum mehr
Die im September veröffentlichte Prognose der Regierung, dass sich das Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr auf nur noch 1,0 Prozent abschwächt, wird inzwischen auch von sehr vielen Banken und Forschungsinstituten geteilt. Die Ende September durchgeführten Analysten-Umfragen von Reuters und Interfax ergaben, dass die Teilnehmer im Durchschnitt für das Jahr 2025 wie die russische Regierung nur noch mit 1,0 Prozent Wachstum rechnen. Auch die Mitte Oktober veröffentlichte Analysten-Umfrage der russischen Zentralbank kommt zu diesem Ergebnis.
Im nächsten Jahr rechnen die Analysten in der Zentralbank-Umfrage nur mit einer schwachen Belebung des Wachstums auf +1,2 Prozent (Interfax-Umfrage: +1,4 Prozent). Auch die Wachstumsprognose der Regierung für 2026 von +1,3 Prozent wird also von vielen Analysten weitgehend geteilt.
BIP-Prognosen 2024 bis 2026
Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

Ergebnisse der Zentralbank-Umfrage für Inflation, Leitzins und Wachstum
Die folgende Tabelle zeigt einen Ausschnitt der Ergebnisse der jüngsten Zentralbank-Umfrage. Für das Jahr 2025 erwarten die Teilnehmer der Umfrage folgende Entwicklung des Anstiegs der Verbraucherpreise, des Leitzinses und des Wachstums des realen Bruttoinlandsprodukts.
Der jährliche Anstieg des Indexes der Verbraucherpreise wird sich im Dezember 2025 auf 6,6 Prozent abschwächen. Ende 2024 hatte die jährliche Inflationsrate noch 9,5 Prozent erreicht.
Im Jahresdurchschnitt 2025 wird die jährliche Inflationsrate mit 8,9 Prozent aber noch etwas höher sein als 2024 (+8,4 Prozent).
Auch der Leitzins wird im laufenden Jahr im Jahresdurchschnitt mit 19,2 Prozent höher sein als im Vorjahr (17,5 Prozent).
Das Wirtschaftswachstum schwächt sich 2025 von 4,3 Prozent auf 1,0 Prozent ab.
Zentralbank-Umfrageergebnisse: Oktober 2025
(in Klammern Ergebnisse der September-Umfrage)

Russische Zentralbank: Macroeconomic survey of the Bank of Russia, 15.10.25 (Auszug)
Umfrage: 2026 überschreitet die Inflation das 4-Prozent-Ziel 2026 noch
Die folgende Abbildung zeigt die Entwicklung der Inflationsrate laut der Analysten-Umfrage. Die von der Zentralbank angestrebte Inflationsrate von 4,0 Prozent wird nach Einschätzung der Umfrage-Teilnehmer nicht wie von der Zentralbank erwartet schon Ende 2026 erreicht. Dann werden die Verbraucherpreise laut der Umfrage noch um 5,1 Prozent steigen. Ende 2027 wird das Inflationsziel laut der Umfrage mit einem Preisanstieg von 4,1 Prozent aber nur noch sehr knapp verfehlt.
Verbraucherpreisindex
Anstieg Dezember gegenüber Dezember des Vorjahres

Russische Zentralbank: Macroeconomic survey of the Bank of Russia, 15.10.25
2027 und 2028 erwarten die Analysten deutlich weniger Wachstum als die Regierung
Die neuen Prognosen der Umfrage-Teilnehmer für das Wirtschaftswachstum sanken im Vergleich mit der Anfang September durchgeführten Umfrage der Zentralbank für den gesamten Prognosezeitraum bis 2028.
2025 rechnen die Analysten jetzt wie die Regierung nur noch mit +1,0% Wachstum (September-Umfrage: +1,2%).
2026 erwarten sie ein kaum stärkeres Wachstum von +1,2% (September-Umfrage: +1,6%). Auch die Regierung erwartet dann nur +1,3% Wachstum.
Reales Bruttoinlandsprodukt
Veränderungen zum Vorjahr in Prozent

Russische Zentralbank: Macroeconomic survey of the Bank of Russia, 15.10.25
Die Wachstumsprognosen der Analysten für 2027 (+1,8%) und 2028 (+1,9%) bleiben aber deutlich unter den Wachstumserwartungen der Regierung (2027: +2,8%, 2028: +2,5%; RBC.ru).
Werden die Leitzinsen am 24. Oktober und im Dezember weiter gesenkt?
Olga Belenkaya, Leiterin der Abteilung für makroökonomische Analyse der Moskauer Börsenfirma FINAM, merkte eine Woche vor der Leitzinsentscheidung am nächsten Freitag in einer ausführlichen Analyse zur aktuellen Inflationsentwicklung und den Faktoren für die Entscheidung der Zentralbank unter anderem folgendes an:
Mittelfristig wird der von der Regierung vorgelegte Haushaltsentwurf für 2026–2028 die Bedenken der Zentralbank im Hinblick auf die von der Finanzpolitik ausgehenden Risiken für die Inflationentwicklung zwar dämpfen. Das eröffnet Spielraum für weitere Leitzinssenkungen.
Andere Inflationsrisiken haben kurzfristig jedoch zugenommen.
Die jährliche Inflationsrate verlangsamte sich im September zwar weiter auf 8,0 Prozent. Das Tempo des Anstiegs der Verbraucherpreise gegenüber der jeweiligen Vorwoche hat im September und insbesondere Anfang Oktober jedoch zugenommen. Die Benzinpreise steigen beschleunigt.
Die Arbeitslosenquote hat einen neuen historischen Tiefstand erreicht. Das Wachstum der Löhne hat sich beschleunigt.
Anfang 2026 steht eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 20 auf 22 Prozent an.
Viele dieser Faktoren wirken sich zwar nur vorübergehend auf die Preisentwicklung aus. Sie können aber die Inflationserwartungen beeinflussen und ihren Rückgang von einem hohen Niveau aus verlangsamen.
Ein Faktor, der für eine weitere Leitzinssenkung spricht, ist die Verlangsamung des Wachstums der Unternehmenskredite im September.
Belenkaya berichtet, dass laut einer Analysten-Umfrage der Zeitung Wedomosti beim nächsten Leitzinsentscheid entweder eine Beibehaltung des Leitzinses von 17% oder eine Senkung des Leitzinses um 50 bis100 Basispunkte zu erwarten ist.
Sie selbst geht davon aus, dass die Zentralbank den Leitzins im vierten Quartal 2025 und im ersten Quartal 2026 langsamer senken könnte und dabei Pausen einlegt bis die Auswirkungen der Mehrwertsteuererhöhung auf die Inflation und die Inflationserwartungen absehbar sind.
Die Leitzinssenkung am 24. Oktober könnte nach Einschätzung Belenkayas auf 50 Basispunkte begrenzt werden. Der Leitzins würde in diesem Fall von 17 Prozent auf 16,5 Prozent sinken. Bis zum Jahresende hält Belenkaya jetzt eine Senkung des Leitzinses auf 16 Prozent für wahrscheinlich.
Leitzins der russischen Zentralbank
Prozent pro Jahr

Trading Economics: Russia Interest Rate
Lesetipps:
- Olga Belenkaya: Leiterin der Abteilung für makroökonomische Analyse, FG Finam: Zentralbanksitzung am 24. Oktober – was liegt auf dem Tisch? 17.10.25
- SRF, Calum MacKenzie: Budget fürs Jahr 2026-Putin rechnet offenbar mit einem langen Krieg, 17.10.25
- Hersfelder Zeitung; Lennart Niklas, Johansson Schwenck: Für Putin wird es immer enger: IWF senkt Russlands Wirtschaftsprognose für 2025 erneut, 16.10.25
- Kommersant, Artem Chugunov: Die düstere Zukunft der Weltwirtschaft. Der IWF hat seine Prognose zum Welthandel aufgrund der Hamsterkäufe angepasst,15.10.25
- Kommersant: Zentralbank: Russische Wirtschaft erholt sich von Überhitzung, 15.10.25
- Der Standard, Jo Angerer aus Moskau: Konzentration auf die Kriegswirtschaft führt zu Problemen am russischen Arbeitsmarkt, 15.10.25
- Interfax.com: Situation, including inflation, developing in line with CBR’s macroeconomic forecast – Zabotkin, 15.10.2515.
- TASS.ru: Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung: Internationale Prognosen für die russische Wirtschaft liegen unter dem tatsächlichen Wert, 14.10.25
- Interfax.ru: IWF senkt russische BIP-Wachstumsprognose für 2025 erneut auf 0,6 %, 14.10.25
- Interfax.ru: Analysten der Zentralbank verzeichneten im dritten Quartal eine anhaltende Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit in Russland, 14.10.25
- Interfax.ru: Analysten der Zentralbank warnten, dass die Erhöhung der Mehrwertsteuer das Erreichen des Inflationsziels erschweren würde, 14.10.25
- RBC.ru: Bild berichtete, dass deutsche Unternehmen in Russland weiterhin Geld verdienen, 12.10.25
- GIS Report; Prof. Stefan Hedlund: Ukraine as an energy hub for Europe. Ukraine is transforming into Europe’s key defense partner and energy hub, sidelining Russia’s traditional dominance, 09.10.25
- DW.com/de; Oleg Loginov: Treibstoffkrise in Russland: Benzinmangel und hohe Preise, 12.10.25; DW.ru; Oleg Loginov: Kraftstoffkrise in Russland: Benzinknappheit und steigende Preise, 01.10.25
- Cash.ch; Reuters: Russlands Wirtschaft kommt ins Stocken – Industrie kürzt Arbeitszeit. Betroffen sind Baubranche, Bahn, Autohersteller und Rohstoffindustrie, 10.10.25
- Expert.ru: Das russische Finanzministerium schätzte das Haushaltsdefizit seit Jahresbeginn auf 3,8 Billionen Rubel, 09.10.25
- Kommersant, Vadim Visloguzov: Der Überschuss hat sich verzögert. Im September überstiegen die Haushaltseinnahmen vorübergehend erneut die Ausgaben, 09.10.25
- Olga Belenkaya, FINAM: Das Haushaltsdefizit ist den zweiten Monat in Folge gesunken, 09.10.25
- Kyiv School of Economics-Institute: Russia Chartbook, September 2025: Economy Avoids Technical Recession; Budget Targets Revised Once Again, 09.10.25
- DW.ru; Oleg Loginov: Was passiert mit den eingefrorenen russischen Vermögenswerten in der EU? 09.10.25
- FR.de; Lennart Niklas, Johansson Schwenck: Russische Wirtschaft bricht ein: Diese Zahlen zeigen Putins Dilemma, 08.10.25
- Finmarket.ru: Konsensprognose für makroökonomische Indikatoren im September: Die Industrieproduktion in Russland wuchs im September um 1,2%, die Inflation lag bei 0,39%, 08.10.25

