Autor: Klaus Dormann
Um „nicht weniger als 1,5 Prozent“ wird die russische Wirtschaft in diesem Jahr wachsen. Das erwartet jedenfalls offenbar die russische Regierung. Ihre Beratungen über die Aktualisierung ihrer Wirtschaftsprognosen für die Haushaltsplanung sind zwar noch nicht abgeschlossen. Finanzminster Anton Siluanow verriet aber bei einem Treffen von Präsident Wladimir Putin mit Regierungsmitgliedern am 27. August laut einer vom Präsidentenamt veröffentlichten Mitschrift (kremlin.ru):
„ …die Wachstumsrate der Wirtschaft wird in diesem Jahr zumindest nach Einschätzung des Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung nicht weniger als 1,5 Prozent betragen.“
Der Pressedienst des Wirtschaftsministeriums erklärte daraufhin allerdings laut Finmarket.ru, es sei noch zu früh, über die aktualisierten Schätzungen des Ministeriums zu berichten. Die Arbeit an der Makroprognose sei noch im Gange. Im April hatte das Wirtschaftsministerium im Basisszenario für 2025 noch ein deutlich stärkeres Wachstum des russischen Bruttoinlandsprodukts von +2,5% und für 2026 von +2,4% prognostiziert.
Die BIP-Entwicklung im zweiten Quartal 2025 ist noch unklar
Im ersten Quartal 2025 ist Russlands reales Bruttoinlandsprodukt laut dem Statistikamt Rosstat saison- und kalenderbereinigt gegenüber dem vierten Quartal 2024 um 0,6 Prozent gesunken (Bruegel). Ob die gesamtwirtschaftliche Produktion auch im zweiten Quartal niedriger als im Vorquartal war, hat Rosstat noch nicht berichtet. So ist weiterhin offen, ob Russlands BIP in zwei aufeinander folgenden Quartalen gegenüber dem jeweiligen Vorquartal gesunken ist. Damit wäre die russische Wirtschaft im ersten Halbjahr in eine sogenannte „technische Rezession“ geraten.
Ostwirtschaft.de hatte am 18. August berichtet, dass Analysten des Telegram-Kanals MMI aufgrund erster Berechnungen zu dieser Einschätzung kamen. Die Raiffeisenbank und „Capital Economics“ schätzten hingegen, dass das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal gegenüber dem Vorquartal um 0,3 Prozent gewachsen ist und damit eine „technische Rezession“ vermieden wurde. In vielen Kommentaren in Russland wurde diese Einschätzung übernommen.
VEB-Chefvolkswirt Klepatsch: Im ersten Halbjahr gab es eine „technische Rezession“
RBC.ru berichtete allerdings jetzt am 29. August, dass auch Andrey Klepatsch davon ausgeht, dass es in Russland eine „technische Rezession“ gegeben hat. Andrey Klepatsch ist seit 2014 Chef-Volkswirt der „Wneschekonombank“, der VEB, einer staatlichen Entwicklungbank. Er war zuvor u.a. Stellvertretender Wirtschaftsministe. Laut RBC.ru sagte Klepatsch bei einem nicht-öffentlichen Treffen im Stolypin-Club am 26. August nach Angaben eines Teilnehmers an diesem Treffen:
„Nach unserer vorläufigen Einschätzung ist das BIP im zweiten Quartal unter Berücksichtigung saisonaler und kalendarischer Faktoren um 0,6 Prozent geschrumpft.“
Das sei, so RBC.ru, auch vom „Stolypin-Institut für Wachstumsökonomie“ bestätigt worden.
Stutzig macht, dass das Forschungsinstitut der Wneschekonombank am 29. August nicht wie bisher in jeder Woche am Freitag einen „Weltwirtschafts- und Marktbericht“ veröffentlichte. Bis Anfang Juni hatte das VEB.Institut in diesen Berichten monatlich mit Abbildungen über die Entwicklung des russischen Bruttoinlandsprodukts informiert (siehe Ausgabe vom 06.06.25). Die bisher letzte Ausgabe des monatlichen Berichts „BIP-Index“ des VEB-Instituts erschien mit den Mai-Ergebnissen am 17. Juli. Offenbar schränkt das Institut seine Berichterstattung über die russische Wirtschaft ein. Die letzte Konjunkturprognose des Instituts für Russland erschien vor knapp einem Jahr.
Nach starkem Anstieg im zweiten Halbjahr 2024 fiel das BIP in die Stagnation
Im gesamten letzten Jahr war das reale Bruttoinlandsprodukt Russlands noch um 4,3 Prozent gewachsen. Nach einem starken Anstieg im zweiten Halbjahr 2024 sank die saisonbereinigte gesamtwirtschaftliche Produktion im Verlauf des ersten Halbjahres 2025 jedoch und stagnierte dann annähernd. Das zeigt die folgende Abbildung des Konjunkturinstituts der Russischen Akademie der Wissenschaften (IEF-RAS) mit Datenstand von Anfang August. Im Juni 2025 fiel der BIP-Index nach Schätzung des Instituts auf den im Oktober 2024 erreichten Stand zurück (siehe auch Ostwirtschaft.de vom 25.08.).
Index des saisonbereinigten realen Bruttoinlandsprodukts (Januar 2019=100)
blaue Säulen: Veränderungen zum Vorjahresmonat in Prozent

Institut für Wirtschaftsprognosen der Russischen Akademie der Wissenschaften:
Kurzfristige Analyse der BIP-Entwicklung – August 2025, 14.08.2025
Von Januar bis Juli 2025 war Russlands BIP nur 1,1 Prozent höher als im Vorjahr
Am 28. August, einen Tag nach der Prognose des Finanzministers, dass das reale BIP 2025 um mindestens 1,5 Prozent steigen wird, teilten das Statistikamt Rosstat und das Wirtschaftsministerium die Konjunkturdaten für Juli mit. Im Zeitraum Januar bis Juli 2025 stieg das reale BIP im Vorjahresvergleich nach Schätzung des Wirtschaftsministeriums nur um +1,1 Prozent. Im Juli erreichte das jährliche BIP-Wachstum dabei nur noch +0,4 % (Juni 2025/Juni 2024: +1,0 %; Finmarket.ru).
Um im Gesamtjahr 2025 eine um 1,5 Prozent höhere gesamtwirtschaftliche Produktion zu erreichen, wird die russische Wirtschaft bis zum Jahresende 2025 deutlich wachsen müssen. Die russische Zentralbank rechnet für das Jahr 2025 mit einem Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts um 1,0 bis 2,0 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Sie geht in ihrer am 06. August veröffentlichten Erläuterung ihrer mittelfristigen Prognose dabei davon aus, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion im dritten Quartal 2025 um 1,6 Prozent höher sein wird als im Vorjahresquartal (Im Juli 2025 war sie laut dem Wirtschaftsministerium aber nur 0,4 Prozent höher als vor einem Jahr). Für das vierte Quartal erwartet die Zentralbank noch eine Wachstumsrate von 0 bis 1 Prozent des realen Bruttoinlandsprodukts, das im vierten Quartal 2024 stark gestiegen ist.
Ist ein Wachstum von 1,5 Prozent im Jahr 2025 noch erreichbar?
Olga Belenkaya, Chefvolkswirtin des Börsenunternehmes FINAM, weist darauf hin, dass das bisherige Wachstum in den ersten sieben Monaten mit +1,1 % nahe an der Untergrenze der Prognose der Zentralbank für das gesamte Jahr 2025 (+1,0 bis+2,0%) liegt. Sie meint:
„Angesichts dieser Entwicklung erscheint die Aussage von Finanzminister A. Siluanow, dass das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung nun bis zum Jahresende mit einem Wirtschaftswachstum rechnet („mindestens 1,5 %), recht optimistisch.“
Denis Popov, PSB Analytics, sieht im schwachen Juli-Ergebnis eine „gewisse Abweichung vom Szenario einer sanften Landung“ der Konjunktur. Für eine Realisierung der Wachstumsprognose von mindestens 1,5 Prozent, die von PSB Analytics geteilt werde, gebe es steigende Risiken. Die Schwäche der Wirtschaft bleibe das Hauptargument für eine weitere Lockerung der Geldpolitik.
Das Moskauer „Center for Macroeconomic Analysis And Short-term Forecasts, CMASF“ blieb am 28. August aber bei seiner Prognose, dass Russlands Wirtschaftswachstum 2025 1,0 bis 1,4 Prozent erreichen wird und sich im nächsten Jahr voraussichtlich auf 1,5 bis 1,8 Prozent beschleunigt.
Auch die Industrie wächst 2025 schwächer als bisher erwartet
Eine Senkung der Prognosen zur Entwicklung der Industrieproduktion in diesem Jahr kündigte der Erste Stellvertretende Ministerpräsident Denis Manturow beim Gespräch der Regierungsmitglieder mit Präsident Putin am 27. August an (Reuters). Die Industrieproduktion werde 2025 insgesamt voraussichtlich um rund 2 % wachsen (bisherige Prognose: +2,6%). Dabei werde die Produktion im „Verarbeitenden Gewerbe“ um rund 3% steigen (bisherige Prognose: +4,3%).
In den ersten sieben Monaten des Jahres 2025 stieg die Produktion im „Verarbeitenden Gewerbe“ zwar im Vorjahresvergleich um 3,3 Prozent. Insgesamt war die Industrieproduktion aber nur 0,8 Prozent höher als im Vorjahr, vor allem weil die Produktion im Sektor „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“ um 2,3 Prozent sank (Finmarket.ru).
Der folgende Ausschnitt aus einem Bericht des Telegram-Kanals MMI zeigt die Produktionsentwicklung der gesamten Industrie (linke Abbildung), des „Verarbeitenden Gewerbes“ (mittlere Abbildung) und des Bereichs „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“ (rechte Abbildung).
Entwicklung der gesamten Industrieproduktion und der Produktion in den Industriesektoren „Verarbeitendes Gewerbe“ und „Bergbau“

MMI: Industrie: 2024 stark nach oben revidiert, 29.08.25
Die obige Tabelle zeigt:
Die gesamte Industrieproduktion (erste Zeile) stieg im Juli 2025 um +0,7% im Jahresvergleich. In den ersten sieben Monate des Jahres 2025 erreichte das jährliche Wachstum der Industrie insgesamt +0,8 % (rechte Spalte). Wachstumstreiber war von Januar bis Juli vor allem das „Verarbeitende Gewerbe“. Im Bergbausektor sank die Produktion hingegen.
Der Bergbausektor, einschl. Förderung von Erdöl und Erdgas (zweite Zeile) stagnierte im Juli auf dem Vorjahresniveau (+0,0 %). In den ersten 7 Monaten war die Produktion im Bergbausektor 2,3 % niedriger als im Vorjahr. Dass die Produktion im Rohstoffsektor im Juli nicht weiter sank, dürfte laut Belenkaya durch eine allmähliche Lockerung der Beschränkungen der Ölförderung im Rahmen der Vereinbarungen der OPEC+ verursacht worden sein.
Die Produktion im „Verarbeitenden Gewerbe“ (dritte Zeile) stieg im Juli um +1,5 % im Jahresvergleich. In den ersten sieben Monaten betrug ihr Wachstum +3,3 % im Vergleich zum Vorjahr.
Die folgende Abbildung des Telegram-Kanals „Harte Zahlen“ lässt die aktuelle Gesamtentwicklung der Industrieproduktion in den letzten Monaten erkennen. Nach Schätzung von „Harte Zahlen“ sank der Index der gesamten Industrieproduktion nach einem Rückgang im Juni im Juli saison- und kalenderbereinigt um 0,5 Prozent.
Index der saison- und kalenderbereinigten Industrieproduktion (2015=100)

Harte Zahlen: Industrieproduktion im Juli, 27.08.25
Das Wachstum des „Verarbeitenden Gewerbes“ flaute im Juli stark ab
Die Verlangsamung des jährlichen Wachstums der gesamten Industrieproduktion von 1,9 Prozent im Juni 2025 auf nur noch 0,7 Prozent im Juli wurde hauptsächlich durch das stark nachlassende Wachstum des Verarbeitenden Gewerbes verursacht. Hier wurde im Juli nur noch ein jährlicher Produktionsanstieg von 1,5 Prozent verzeichnet – nach +4,2 Prozent im Juni (Finmarket.ru).
Innerhalb des Verarbeitenden Gewerbes wuchs im Juli die Produktion im rüstungsorientierten Sektor „Sonstige Transportfahrzeuge und -ausrüstungen, einschließlich Flugzeuge, Schiffbau“ im Vorjahresvergleich mit großem Abstand am stärksten (+49,1%).
Die stärksten Rückgänge im Vergleich zum Juli 2024 verzeichnete die Produktion von Kraftfahrzeugen (-26,5%), Möbeln (-12,0%) sowie Maschinen und Ausrüstungen, die nicht in anderen Gruppen enthalten sind (-11,9%).
Die Produktion der Industrie im Jahr 2024 wurde kräftig nach oben revidiert
In die Rosstat-Berechnung der Wachstumsraten der Industrieproduktion im Juli 2025 floss ein, dass Rosstat die Veränderungsraten der Industrieproduktion im Jahr 2024 kräftig nach oben revidierte. Insgesamt stieg demnach die gesamte Industriefproduktion im letzten Jahr nicht um +4,6 %, sondern um +5,6 %. Hauptursache dafür war, dass die Produktion im Bereich „Verarbeitendes Gewerbe“ nicht um +8,5%, sondern um +9,8% stieg. Die Produktion im Bereich „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“ sank nicht um -0,9%, sondern nur um -0,4% (Finmarket.ru).
In der folgenden Abbildung von Dmitry Polevoy (Investmentdirektor JSC „Astra Asset Management“) zeigt die blaue Linie die Entwicklung der Industrieproduktion vor der Revision und die rote Linie die Entwicklung der Industrieproduktion nach der Revision.
Index der Industrieproduktion, Dezember 2023=1,0

Dmitry Polevoy; JSC „Astra Asset Management“, in: Finam.ru: Die Revision der Industriedaten hat keinen Einfluss auf die Entscheidung der Zentralbank der Russischen Föderation im September, 29.08.25
Der Telegram-Kanal MMI schätzt, dass die Aufwärtsrevision der Industrieproduktion zu einer Aufwärtsrevision des Anstiegs der gesamtwirtschaftlichen Produktion im Jahr 2024 von +4,3% auf +4,6% führen wird.
Kräftig gestiegen ist im Juli die Bauproduktion
Mit dem Rückgang der Produktion im Bergbau sank auch der Warentransport.
Der Umschlag im Transportgewerbesank laut dem Telegram-Kanal „Harte Zahlen“ im Juli um -1,8 % im Jahresvergleich, nach einem Wachstum von +1,4 % im Juni. In den ersten sieben Monaten verringerte sich der Warenumschlag im Vergleich zum Vorjahr um -0,6 %.
Die landwirtschaftliche Produktion sank im Juli im Jahresvergleich um -0,4 %, nach einem Wachstum von +1,5 % im Juni. In den ersten sieben Monate stieg die Produktion der Landwirtschaft im Jahresvergleich um +1,0 %.
Die Bauproduktion stieg im Juli im Jahresvergleich um +3,3 %, nachdem sie in den letzten beiden Monaten nahezu stagniert hatte. In den ersten sieben Monaten
stieg das Bauvolumen im Jahresvergleich um +4,2 %.
Starke Reallohnsteigerungen sorgen für ein weiteres Konsumwachstum
Der jährliche Anstieg der Reallöhne verstärkte sich im Juni auf 15 % nominal und 5,1 % real, verglichen mit 14,5 % bzw. 4,2 % im Mai.
Das Wachstum des privaten Konsums beschleunigte sich. Der reale Gesamtumsatz im Einzelhandel, in der öffentlichen Gastronomie und bei kostenpflichtigen Dienstleistungen stieg im Juli um +2,2 % gegenüber +1,8 % im Juni.
Dabei wuchs der reale Einzelhandelsumsatz im Juli um +2,0 % im Jahresvergleich, nach +1,2 % im Juni. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2025 stieg der reale Einzelhandelsumsatz im Jahresvergleich um +2,1 % (siehe Analyse der Raiffeisenbank).
Die Arbeitslosenquote blieb auf einem historischen Tiefstand (2,2 %).
Monatliche Konjunkturentwicklung seit November 2024 im Überblick Veränderungen zum Vorjahresmonat in Prozent (Arbeitslosenquote in Prozent)

Harte Zahlen: https://t.me/xtxixty/5602
Lesetipps:
- fr.de; Lars-Eric Nievelstein: Kriegswirtschaft in Putins Russland stockt – Kreml senkt Wachstumserwartungen, 30.08.25
- The Moscow Times: Kremlin’s main state bank has announced a recession in the Russian economy, 29.08.25
- RBC.ru: VEB-Chefvolkswirt meldet zweiten Quartalsrückgang des BIP in Folge, 29.08.25
- The Bell: Ökonomen schlagen vor, die „freie Marktwirtschaft“ wieder einzuführen, um eine Rezession zu vermeiden, 29.08.25
- Finmarket.ru: Experten nannten Risiken für die russische Wirtschaft. „Kurzzeitanalyse der BIP-Dynamik“ des Instituts für Wirtschaftsprognosen (IEF) der Russischen Akademie der Wissenschaften, 29.08.25
- scanx.trade: Russia’s Economic Growth Slows, Falling Short of Central Bank Projections, 28.08.25
- en.Izvestia.ru: Add — not subtract: the devaluation of the ruble was called a key risk for the Russian economy. What else can weaken and support Russia’s GDP this year, 29.08.25
- National Security Journal, Stephen Silver: Russia’s Economy Looks Like a Giant Mess, 29.08.25
- Finam.ru: Olga Belenkaya: Russische Wirtschaft im Juli – Worauf sich die Zentralbank konzentrieren wird, 28.08.25
- serrarigroup.com; Montel Kamau: Russland senkt seine Wachstumsprognose für 2025 auf 1,5 %, da die Kriegswirtschaft vor einem Realitätscheck steht, 28.08.25
- onvista.de, Reuters: Russlands Finanzminister erwartet weniger Wirtschaftswachstum – Reuters; 27.08.25, Global Banking and Finance Review; Reuters: Russland senkt Wachstumsprognose für 2025 von 2,5 auf 1,5 Prozent, 27.08.25