Steppe Ahead – Die Kolumne über Geopolitik, Wirtschaft und Innovation in Zentralasien
Autor: Thorsten Gutmann

Kasachstan wagt den Einstieg ins Atomzeitalter – und setzt dabei auf einen altbekannten Partner: Russland. Genauer gesagt Rosatom, den staatlichen Atomgiganten, der weltweit Reaktoren baut, Brennstoff liefert und sich als strategischer Brückenbauer versteht. Am 14. Juni hat die kasachische Atombehörde verkündet, dass Rosatom ein internationales Konsortium zur Errichtung des ersten Atomkraftwerks des Landes anführen wird.
Gebaut wird in Ulken, einer halb verlassenen Ortschaft am Balchaschsee – ein Ort zwischen Vergangenheit und Zukunft. Zwei Reaktoren sollen dort bis 2035 ans Netz gehen. Geplant ist eine Gesamtleistung von 2,4 Gigawatt – genug, um Millionen Menschen mit Strom zu versorgen. Und: ein symbolisches Kraftzentrum für ein Land, das bislang Weltmarktführer bei Uranexporten ist, aber keinen eigenen Atomstrom erzeugt.
Rosatom setzte sich in einem hochkarätigen Bieterverfahren gegen Konzerne aus China, Frankreich und Südkorea durch. Alle Bewerber hatten umfassende Vorschläge eingereicht: von Finanzierung über Lokalisierung und Ausbildung bis hin zur Frage sozialer Verantwortung. Doch der Zuschlag ging an Moskau – offenbar auch, weil Rosatom staatliche Exportfinanzierung im Paket anbietet. Die Finanzierungsgespräche mit Russland laufen bereits.
Uranexportweltmeister Kasachstan
Kasachstan exportierte 2023 über 26.800 Tonnen natürliches Uran – das entspricht fast der Hälfte des weltweiten Marktes. Dennoch muss das Land Stromimporte organisieren oder Kohlekraftwerke am Limit betreiben. Diese energiepolitische Schieflage soll das neue AKW beheben.
Doch der Bau ist nicht nur ein Infrastrukturprojekt – er ist politisch. Russland bleibt trotz des Ukrainekriegs ein gefragter Partner. Präsident Tokajew balanciert bewusst: Einerseits gute Beziehungen zu Moskau und Peking, andererseits Offenheit für den Westen. Ein Konsortium mit internationalen Partnern – China, Frankreich, Südkorea – soll diese Ausgewogenheit symbolisieren. Beobachter glauben allerdings: Am Ende wird Rosatom das Kraftwerk weitgehend allein bauen.
Die Bevölkerung ist gespalten. Die Zustimmung zum Bau wurde per Referendum eingeholt – ein Novum. Das Misstrauen gegenüber Atomtechnik sitzt tief. Semipalatinsk, sowjetische Atombombentests, der BN-350-Reaktor am Kaspischen Meer – die nukleare Geschichte des Landes ist schwer belastet.
Seit der Stilllegung des letzten Reaktors 1999 fließt in Kasachstan kein Atomstrom mehr. Doch die Lage hat sich verändert. Industrie, Digitalisierung, Klimaziele – sie alle verlangen nach grundlastfähiger Energie. Der Atomausstieg des Westens ist für Astana kein Vorbild, sondern Warnung.
Spannend ist auch das Timing der Bekanntgabe: Nur wenige Tage vor dem Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Kasachstan. Zufall? Wohl kaum. Die Botschaft: Kasachstan bleibt offen, aber wählt seine Partner selbst.
Fazit: Rosatom liefert nicht nur Technologie, sondern Einfluss. Für Kasachstan ist das Atomkraftwerk ein Schritt in die energiepolitische Eigenständigkeit – aber auch eine Gratwanderung zwischen Machtblöcken. Wie viel Souveränität sich das Land dabei bewahren kann, wird sich nicht erst beim Einschalten des Reaktors zeigen – sondern in jeder Entscheidung bis dahin.

