
Kolumne Steppe Ahead
Autor: Thorsten Gutmann
Wenn es um Zentralasien geht, denken viele an Energie, Geopolitik und strategische Transitkorridore. Doch wer heute in Kasachstan investiert – und wer es lässt – sagt mehr über die Weltlage aus als so manche Gipfelerklärungen. 2024 zeigt: Russland ist zurück, China agiert vorsichtig, die USA bleiben fokussiert – und Europa verliert an Gewicht.
Russland: Rückkehr als Investitionsmacht
Mit 4,05 Milliarden US-Dollar und einem Anteil von 23,6 % an allen ausländischen Direktinvestitionen ist Russland 2024 der größte Einzelinvestor in Kasachstan. Das ist bemerkenswert: Noch vor wenigen Jahren stagnierte der russische Anteil. Jetzt aber investieren russische Unternehmen verstärkt in Transportinfrastruktur, Energie, Industrie und Banken.
Warum? Moskau verfolgt eine Doppelstrategie:
- Erstens: wirtschaftliche Integration über die Eurasische Wirtschaftsunion vertiefen.
- Zweitens: den Sanktionsdruck durch stärkere regionale Vernetzung kompensieren.
Mit Blick auf westliche Investitionszurückhaltung nach dem Ukraine-Krieg nutzt Russland das entstandene Vakuum – strategisch und entschlossen.
USA: Konstant, aber selektiv
Die USA zählen weiterhin zu den bedeutendsten Investoren – vor allem im Energiesektor. Die US-Firma Chevron bleibt Hauptakteur im Joint Venture Tengizchevroil, das das Tengiz-Ölfeld erschließt – eines der größten der Welt.
Doch anders als Russland oder China agieren die Amerikaner punktuell und strategisch, nicht breitflächig. Sie konzentrieren sich auf:
- Energie (Öl, Gas),
- neue Explorationsprojekte,
- sowie auf strategische Industriepartnerschaften mit langfristiger Perspektive.
Die USA bleiben präsent – aber sie erweitern ihr Engagement nicht im selben Tempo wie Russland oder China.
China: Viel Symbolik, weniger Kapital
China ist in Kasachstan allgegenwärtig – politisch, rhetorisch, infrastrukturell. Doch bei den Investitionen bleibt Peking zurückhaltend: Nur 4,3 % der ausländischen Direktinvestitionen kamen 2023 aus China.
Gründe für das vorsichtige Vorgehen:
- In Kasachstan gibt es gesellschaftliche Skepsis gegenüber chinesischem Einfluss.
- Peking bevorzugt Kredite und Infrastrukturprojekte (z. B. über die Belt and Road Initiative), die oft nicht als klassische Direktinvestitionen gewertet werden.
- Zudem agiert China in Zentralasien oft geopolitisch vorsichtig, um lokale Spannungen zu vermeiden.
Fazit: Chinas Präsenz ist größer als es die Zahlen vermuten lassen – aber sie ist anders strukturiert: weniger Kapitalbeteiligungen, mehr Infrastrukturkredite und Einfluss über Staatsunternehmen.
Deutschland: Erstaunlich schwache Bilanz
Deutschland, einst Hoffnungsträger als Technologiepartner Kasachstans, spielt bei den Direktinvestitionen eine untergeordnete Rolle. Laut GTAI liegt der Bestand deutscher Investitionen bei nur 536 Millionen Euro – das entspricht nicht einmal 0,5 % der Gesamtsumme.
Warum?
- Viele deutsche Unternehmen sehen politische Unsicherheit und ein schwer kalkulierbares Geschäftsrisiko.
- Zudem fehlt es an großen Ankerinvestitionen wie etwa im Energiesektor.
- Auch der Mittelstand zögert: Mangelnde lokale Partner, Sprache und Bürokratie gelten als Hürden.
Während deutsche Exporte nach Kasachstan zulegen, bleibt das Kapital zögerlich. Ein Widerspruch – und eine verpasste Chance.
Ein neuer Trend: Investitionen in Verarbeitung statt Rohstoffe
Ein Lichtblick für alle Beteiligten: Kasachstan setzt 2024 verstärkt auf Industrialisierung und Diversifizierung. Laut EY wurden 49 neue Investitionsprojekte gestartet – davon viele in:
- Verarbeitende Industrie (Lebensmittel, Maschinenbau, Chemie),
- Transport & Logistik,
- erneuerbare Energien.
Dieser Shift weg vom reinen Rohstoffexport hin zu lokaler Wertschöpfung könnte für europäische Unternehmen, insbesondere aus Deutschland, die echte Chance zur Rückkehr auf die Investorenbühne sein.
Fazit: Die Geopolitik spricht Kasachisch
2024 zeigt: Kasachstan ist kein „Rohstoffland“ mehr, sondern ein geopolitisches Scharnier mit wachsendem Selbstbewusstsein.
- Russland investiert entschlossener denn je.
- Die USA bleiben verlässlich – aber punktuell.
- China ist sichtbar, aber nicht dominant.
- Und Europa – vor allem Deutschland – schaut zu, statt zu handeln.
Wer die wirtschaftliche Zukunft Zentralasiens gestalten will, sollte nicht auf die Karte schauen, sondern auf die Kapitalflüsse.
Und vielleicht auch auf die nächste Einladung zu einem kasachischen Investitionsforum.