Steppe Ahead Kolumne von Thorsten Gutmann

Zentralasien-Kolumne „Steppe Ahead“

Autor: Thorsten Gutman

Thorsten Gutmann Zentralasien

Wer heute nach Afghanistan blickt, denkt selten an neue Zugverbindungen. Sondern an jahrzehntelangen Krieg, an die Taliban, an die systematische Unterdrückung von Frauen. An ein Land, das für viele zum Synonym für Stillstand und Rückschritt geworden ist. Und doch soll genau hier eine Bahnlinie entstehen, die das Potenzial hat, die wirtschaftliche Geographie ganz Eurasiens zu verschieben.

Usbekistan, Afghanistan und Pakistan planen eine durchgehende Schienenverbindung von Termez über Kabul bis nach Peschawar. Die sogenannte Trans-Afghan Railway soll auf über 700 Kilometern einen direkten Landkorridor zwischen Zentralasien und den Seehäfen Pakistans schaffen. In Kabul wurde dazu ein Rahmenabkommen für eine gemeinsame Machbarkeitsstudie unterzeichnet. Die Projektkosten werden auf rund sieben Milliarden US-Dollar geschätzt. Die Transportzeit zwischen Taschkent und Karachi könnte sich damit von über einem Monat auf nur wenige Tage verkürzen.

Was vor wenigen Jahren noch undenkbar schien, rückt nun in greifbare Nähe – nicht, weil sich die politischen Bedingungen verbessert hätten, sondern weil die wirtschaftliche Realität neue Wege erzwingt. Die bisherigen Handelsrouten sind überlastet oder geopolitisch unsicher geworden. Zugleich wächst in der Region das Selbstbewusstsein, eigene Infrastrukturprojekte nicht nur zu fordern, sondern selbst zu initiieren und voranzutreiben.

Usbekistan brachte die Idee der Trans-Afghan Railway bereits 2018 ins Spiel. Heute passt sie perfekt zur „Middle Corridor“-Strategie des Landes, das sich als logistische Brücke zwischen China, Südasien und Europa positionieren will. Pakistan wiederum sucht den Zugang zu den ressourcenreichen Märkten Zentralasiens – nicht nur als Transitland, sondern als wirtschaftlicher Akteur auf Augenhöhe. Und Afghanistan? Spielt in diesem Projekt erstmals nicht die Rolle des Störfaktors, sondern die des verbindenden Elements – geografisch wie politisch.

Dass genau diese drei Länder – mit all ihren Unterschieden und Konflikten – nun an einem gemeinsamen Projekt arbeiten, ist bemerkenswert. Es ist ein Zeichen für Pragmatismus in einer Region, die lange von Blockdenken und Fremdbestimmung geprägt war. Klar ist: Die Risiken sind hoch. Die Sicherheitslage entlang der Route bleibt fragil, die administrativen und technischen Hürden sind beträchtlich. Aber der politische Wille scheint da zu sein – und die wirtschaftlichen Argumente sind überzeugend.

Die Machbarkeitsstudie, die nun folgt, wird zeigen, ob und wie das Projekt umgesetzt werden kann. Doch schon jetzt zeigt sich: Die Trans-Afghan Railway ist weit mehr als ein Transportvorhaben. Sie steht für eine neue Phase eurasischer Zusammenarbeit – bottom-up, regional getragen, von realen Bedürfnissen getrieben. Sie könnte zum Symbol für etwas werden, das lange gefehlt hat: die Fähigkeit, aus eigener Kraft Verbindungen zu schaffen – statt auf Lösungen von außen zu warten.

Vielleicht wird man eines Tages sagen: Die erste Schiene, die durch Afghanistan verlegt wurde, war nicht nur ein logistisches Ereignis – sondern ein politisches Signal. Eine Linie durch die Ungewissheit. Und ein Schritt in Richtung eigener Gestaltungsmacht.

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