Autor: Thomas Baier

Seit Jahren verfolge ich die Verschiebungen auf Russlands Automarkt – und das gängige Argument klingt stets gleich: Erst der Rückzug westlicher Hersteller habe die chinesischen Marken stark gemacht, sie seien also nur „zweite Wahl“. Insbesondere ist diese China-Skepsis auch bei Russen selbst verbreitet. Ein paar Tage Straßenschau in Almaty räumen mit diesem Bild gründlich auf.
Am zentralen Abai-Prospekt in der „heimlichen Hauptstadt“ Kasachstans reihen sich Li Xiang, Zeekr und Jetour nebeneinander. Mein Taxifahrer holt mich im funkelnagelneuen Geely Emgrand ab, einem modernen Sedan, der rund 8 Millionen Tenge kostet, unter 20.000 Euro. Mein Taxifahrer schwärmt von der Verarbeitung und dem Verbrauch.
Im Showroom kostet ein moderner Li Xiang L7 Ultra rund 50.000 Euro, ein Zeekr 001 Flagship wechselt ab knapp 38 600 Euro den Besitzer. Schon die Werbung im Ankunftsbereich des Flughafens Almaty ist bezeichnend: Überlebensgroße Banner für Tank und Chery dort, wo früher Audi Q7 oder BMW X5 prangten. Beim Schnitzelessen erklärt mir ein deutscher Top-Manager: „Meine Frau und ich haben uns in alle aktuellen SUVs – auch die deutschen – hineingesetzt, aber nur beim Li Xiang spürten wir sofort: Das ist es. Die Chinesen sind uns zehn Jahre voraus.“

Kasachstan als Testlabor: China-Quote bald bei 50%
Die Statistik bestätigt den Straßeneindruck: Laut kasachischem Automobilverband gehörten 2024 bereits 39% der Neuwagenverkäufe chinesischen Marken; Analysten erwarten die 50%-Marke noch 2025. Unter den Top-20-Bestsellern finden sich zehn China-Autos. Gründe:
- Verfügbarkeit – Lieferzeiten in Wochen statt Monaten.
- Preis-Leistungs-Schock – Discount-Preise für Spitzentechnologie
Kasachstan zeigt, dass Chinas Hersteller längst nicht nur die „zweite Wahl“ nach einem West-Exodus sind, sondern im freien Wettbewerb Käufer gewinnen – vom Taxiunternehmer bis zum deutschen Expat-Manager.
Russland: Timing-Glück ersetzt den Westen – 62% China-Anteil
In Russland legten chinesische Auotobauer erst richtig los, nachdem VW, Renault & Co. 2022 abzogen. Ergebnis: 2024 kam jedes zweite neu zugelassene Auto von einem chinesischen Hersteller; im Januar 2025 lag die Quote sogar bei 62%.
Selbst im Premium-Segment füllen Li Xiang, Tank oder Aito die Lücke elegant, die BMW oder Audi hinterlassen haben. Ohne die serienreifen chinesischen Alternativen wäre der russische Markt nach dem Abzug der Deutschen in ein tiefes Loch gefallen – so aber gleitet er fast nahtlos weiter. Er wird aktuell nur aufgrund des hohen Leitzinses ausgebremst, nicht aufgrund mangelnder Auto-Angebote.
Das Narrativ von der „zweiten Wahl“ hält nicht mehr. Länder wie Kasachstan belegen, dass chinesische Marken auch ohne westlichen Rückzug konkurrenzfähig sind und sich im offenen Markt durchsetzen. Russland wiederum profitierte vom perfekten Timing: Gerade als die deutschen Platzhirsche gingen, stand eine technologisch gereifte China-Armada bereit. Und jetzt stehen die deutschen Autobauer weltweit unter Druck.

