Zaren Daten Fakten Kolumne Thomas Baier

Kolumne „Zaren. Daten. Fakten.“

Autor: Thomas Baier


Blickt man auf die frisch publizierten Zahlen des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft für das erste Quartal 2025, dominiert Polen die Liste der deutschen Handelspartner mit stolzen 45 Milliarden Euro Warenverkehr. Dahinter folgt Tschechien mit 28,5 Milliarden Euro – bemerkenswert für ein Land, dessen Bevölkerung kaum 11 Millionen zählt. Ungarn rangiert mit 16,5 Milliarden Euro bereits deutlich dahinter, während Rumänien und die Slowakei sich mit knapp 10 Milliarden Euro nahezu auf Augenhöhe bewegen. Die osteuropäischen Nachbarn sind für den deutschen Handel wesentlich wichtiger als die USA oder China, werden aber oft im medialen Diskurs vernachlässigt.

Weiter unten in der Tabelle taucht die Ukraine auf, deren Austausch mit Deutschland sich seit Jahresbeginn auf 3 Milliarden Euro summiert. Das mag moderat klingen, ist aber eine satte Steigerung um 25% gegenüber dem Vorjahr; die deutschen Exporte in die Ukraine legten um mehr als 40% zu.

Von Rekord zu Randnotiz: Russlands Absturz


Und Russland? Das einstige Schwergewicht ist im selben Ranking auf Platz 10 abgerutscht. 2,1 Milliarden Euro – so wenig Waren bewegten sich in drei Monaten zwischen Moskau und Berlin. Rechnet man das großzügig aufs Gesamtjahr hoch, bleiben gerade einmal 9 Milliarden Euro übrig. Das ist kaum mehr als Mitte der 1990er, als ich – Jahrgang 1994 – gerade laufen lernte und der bilaterale Austausch zum ersten Mal die 10-Milliarden-Schwelle überwand.

Und die Dynamik zeigt weiter nach unten. Gegenüber dem Vorjahresquartal schrumpfte das Handelsvolumen um gut 12%; besonders dramatisch sanken die deutschen Importe aus Russland – minus 42%, während die Exporte mit minus 3,4% vergleichsweise glimpflich davonkamen. Deutschland hat mittlerweile einen Rekordhandelsüberschuss mit Russland. Auf die Einwohnerzahl heruntergebrochen wirkt das russisch-deutsche Geschäft inzwischen grotesk klein: Die Slowakei hat mit ihren 5,5 Millionen Bürgern deutlich mehr Handel mit Deutschland als Russland mit seinen rund 145 Millionen.

Der Kontrast zur übrigen Region könnte kaum schärfer sein. Belarus, eng an Russland gebunden, hingegen fällt komplett aus dem Raster: Nach einem Einbruch von 77% dümpelt der Austausch bei minimalen 150 Millionen Euro – in etwa das Wochenvolumen des deutsch-polnischen Handels.

Willkommen in den 1990ern

Damit endet ein Handelskapitel, das noch 2012 seinen Höhepunkt erreichte: Damals wechselten Waren zwischen Deutschland und Russland im Wert von über 80 Milliarden Euro die Grenze – fast das 10-fache des derzeitigen Niveaus. Heute ist der deutsch-russische Warenstrom nur noch ein Rinnsal, statistisch kaum breiter als vor drei Jahrzehnten.

Wo einst Energieimporte aus Russland und Maschinenexporte nach Russland den Ton angaben, füllen nun Lieferketten in Mittelosteuropa die Lücke. Wer 2025 auf die Handelskarte schaut, erkennt: Das Zentrum deutscher Osthandelsströme liegt längst an der Weichsel, der Moldau und zunehmend auch am Dnipro.

Russland steht für deutsche Unternehmen dort, wo es schon einmal war – in einer statistischen Randnotiz der Neunzigerjahre.


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