Der Headhunter Michael Germershausen über Löhne, Migration und neue Trends auf den Arbeitsmärkten in Russland und Zentralasien


Seit über 20 Jahren vermittelt Michael Germershausen Fachkräfte in Russland, im Kaukasus und in Zentralasien. Der deutsche Personalberater leitet für die internationale Firma Antal mehrere Büros in der Region und beobachtet, wie sich Löhne, Arbeitsbedingungen und Migration verändern. Im Gespräch erklärt er, warum Kuriere zum Benchmark geworden sind, weshalb Kasachstan beim BIP pro Kopf Russland überholt hat – und wieso junge Bewerber ohne Homeoffice nur schwer zu gewinnen sind.

Durchschnittslöhne sind ein sensibles Thema. Wie kann man sie sinnvoll vergleichen?
Man darf sich nicht blenden lassen. Moskau ist nicht Russland – genauso wie Almaty nicht Kasachstan ist. Wer seriös vergleichen will, braucht einen funktionalen Maßstab. Ich nutze Kuriere. In Taschkent verdienen sie 500 bis 1.000 Dollar im Monat, in Kasachstan 1.000 bis 2.000 Dollar, in Russland meist 1.000 bis 1.500 Dollar. Damit liegen sie in Kasachstan sogar über Russland. Und: Diese Jobs konkurrieren längst mit einfachen Bürotätigkeiten. Viele junge Leute gehen lieber aufs Rad oder ins Auto, als sich in ein Büro setzen. Für uns Headhunter ist das eine echte Konkurrenz.

Und wo lassen sich die besten Gehälter erzielen?
Es folgt dem Investitionsfluss. IT – besonders im Bereich Künstliche Intelligenz – bleibt attraktiv, auch wenn viele Spezialisten längst international arbeiten. Stark bezahlt wird im Gesundheitswesen, in Pharma, im Supply-Chain-Management und in der Logistik. Und der Klassiker ist der Vertrieb: Wer komplexe Produkte verkaufen kann, ob Software oder Medikamente, verdient überall überdurchschnittlich.

Welche Rolle spielt Russland noch als Zielland für Arbeitsmigranten aus Zentralasien?
Für Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan bleibt Russland wichtig. Die Überweisungen nach Hause – die sogenannten Remittances – sichern dort Millionen Familien das Einkommen. Aber Usbekistan versucht, das Modell zu modernisieren: weniger Bauarbeiter, mehr Outsourcing. In Taschkent entstehen IT-Parks und Shared-Service-Center. Junge, gut ausgebildete Leute sollen für internationale Projekte arbeiten und Devisen ins Land holen. Parallel experimentieren russische Recruiter: Manche holen inzwischen Inder, um Lücken zu füllen, die durch ausgeblieben zentralasiatische Arbeiter entstanden sind.

Wie groß ist die informelle Wirtschaft in der Region?
Sehr schwer zu messen. In Russland lag der Anteil „inoffizieller“ Gehaltsanteile lange im einstelligen Bereich, ist aber wieder gestiegen. Höhere Steuern und Sozialabgaben treiben Firmen in die Grauzone. In Usbekistan und Kasachstan haben viele zusätzlich Zweit- und Drittjobs – oft als Kuriere oder im Call-Center. Kasachstan hat inzwischen ein weitgehend bargeldloses Bezahlsystem. Sogar Marktverkäuferinnen kassieren per Smartphone. Der Staat versucht, die Zahlungen zu kontrollieren und Steuerprüfungen anzudrohen.

Und die Arbeitszeiten?
Formal arbeiten Usbeken am meisten – bis vor Kurzem mit nur sieben Urlaubstagen. Kasachstan gewährt etwas mehr, Russland liegt mit 24 bis 28 Tagen an der Spitze. Aber Produktivität ist etwas anderes: Russische Teams arbeiten oft noch effizienter.

Seit Corona ist Homeoffice ein großes Thema. Wie sieht es in der Region aus?
Deutschland ist Spitzenreiter, viele sind zwei bis drei Tage zu Hause. In Russland und Zentralasien fahren internationale Arbeitgeber ähnliche Hybridmodelle. Reines Remote-Arbeiten bleibt eine Domäne von IT-Freelancern, größtenteils auf internationalen Projekten. Wichtig: Junge Kandidaten fragen zuerst nach Homeoffice. Firmen, die das ablehnen, verlieren die Hälfte ihrer Bewerber. Das gilt in Moskau genauso wie in Taschkent oder Almaty.

Welchen Fehler machen deutsche Arbeitgeber am häufigsten?
Sie sind zu langsam. In Zentralasien finden 30 bis 40 Prozent der Kandidaten innerhalb eines Monats einen neuen Job. Nach drei Monaten sind 70 Prozent platziert. Wer sechs Monate sucht, bekommt nur die Restgruppe. Internationale und lokale Arbeitgeber sind deutlich schneller. Mein Rat: Klare Profile, kurze Prozesse, schnelle Entscheidungen.


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