Öl-Überproduktion: Kasachischer Energieminister deutet Abkehr von Öl-Kartell an

In einem bemerkenswert offenen Interview mit der britischen nachrichtenagentur Reuters hat Kasachstans neuer Energieminister Jerlan Akkenzhenow signalisiert, dass sein Land künftig die nationalen Interessen über die Vereinbarungen der OPEC+ stellen könnte. Das zentralasiatische Land wolle sich nicht länger bedingungslos an die Fördergrenzen der Ölallianz halten, mit potenziell weitreichenden Folgen für die Stabilität des Öl-Kartells.

„Wir werden versuchen, unsere Maßnahmen anzupassen. Wenn unsere Partner mit dieser Anpassung nicht einverstanden sind, werden wir im Einklang mit unseren nationalen Interessen handeln – mit allen daraus resultierenden Konsequenzen“, sagte Akkenzhenow am 24. April gegenüber der Nachrichtenagentur.

Er ergänzte: „Das ist eine breite Formulierung, aber sie deckt die gesamte Lage ab, in der wir uns derzeit befinden: Wir handeln ausschließlich im nationalen Interesse.“

Brisant ist dabei auch Akkenzhenows Hinweis, dass Kasachstan de facto über weite Teile seiner Ölproduktion kaum Kontrolle habe. Die drei größten Ölfelder des Landes – Kashagan, Karachaganak und Tengiz – werden von westlichen Energiekonzernen betrieben und machen rund 70 % der nationalen Förderung aus. „Wir kontrollieren diese Prozesse dort nicht, weil unsere internationalen Partner die Entscheidungen treffen“, so der Minister.

Spitzenreiter beim Überproduzieren

Laut aktuellen Zahlen der OPEC lag Kasachstans Rohölförderung im März bei 1,85 Millionen Barrel pro Tag – deutlich über dem eigenen OPEC+-Kontingent von 1,468 Millionen Barrel. Im Jahresdurchschnitt 2024 produzierte das Land noch 1,74 Millionen Barrel pro Tag. Der jüngste Anstieg ist insbesondere auf die Ausweitung der Förderkapazitäten im Tengiz-Feld zurückzuführen.

Die deutliche Überproduktion dürfte in Wien für Unmut sorgen: Erst Anfang April hatte das OPEC+-Bündnis eine beschleunigte Erhöhung der Gesamtfördermenge um 411.000 Barrel pro Tag für Mai angekündigt – ein Manöver, das weithin als disziplinarische Maßnahme gegen unkooperative Mitglieder verstanden wurde. Zeitgleich senkte Saudi-Arabien seine Verkaufspreise für Asien auf den niedrigsten Stand seit vier Monaten.

De-facto-Ausstieg?

Die Aussagen Akkenzhenows lassen Zweifel an Kasachstans künftiger Verlässlichkeit innerhalb der OPEC+ aufkommen. Ein bereits vorgeschlagener Kompensationsmechanismus hätte dem Land weitreichende Produktionskürzungen abverlangt, um frühere Überschreitungen auszugleichen. Akkenzhenows Worte deuten darauf hin, dass Astana solche Maßnahmen nicht mittragen will.

In einem begleitenden Kommentar warnt Reuters-Energiereporter Ron Bousso vor einer möglichen Kettenreaktion: Sollte Kasachstan aus der Reihe tanzen oder sich gar faktisch aus dem Bündnis lösen, könnte das andere Mitglieder ermutigen, ebenfalls ihre Produktionsgrenzen zu überschreiten. Die Folge wäre ein neuer Preiskrieg, ähnlich dem von 2014, bei dem Saudi-Arabien gezielt den Ölpreis drückte, um teurere Produzenten – vor allem in Nordamerika – vom Markt zu verdrängen.

In einer Zeit, in der auch Nicht-OPEC-Staaten wie die USA und Brasilien ihre Fördermengen steigern, könnte ein Zerfall der Einigkeit unter den OPEC+-Mitgliedern die Weltmärkte destabilisieren – und den Preis für Rohöl erneut in unvorhersehbare Richtungen treiben.

Dieser Artikel erschien zuerst bei unseren Kooperationspartner bne IntelliNews auf englischer Sprache.

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